Buch

Shopping and the City - Lisa Barham

Shopping and the City

von Lisa Barham

Eins muss man über die Mädchen von Greenwich wissen, nämlich, dass sie total zurückgeblieben sind. Im Ernst, es ist wohl die einzige Stadt der Welt, wo Mädchen tatsächlich im Winter in ihren seidenblumenverzierten Dior-Sandaletten zur Schule kommen (Winterstiefel sind sooooo spießig) und im Sommer im Pelzmantel. Versteht mich nicht falsch, würde mir das megatolle Nerzschultercape von J. Mendel gehören, das Tinsley Vogelzang gestern in der Schule anhatte, dann würde ich es auch im Juni tragen. (Die Dienste eines Vollzeitchauffeurs nebst Rund-um-die-Uhr-Klimaanlage zu genießen, hilft natürlich auch.)Die andere Sache, die man über Greenwich-Mädchen wissen muss, ist, dass sie super spirituell sind. Meine Schule, die Greenwich Country Academy, ist höheres Bewusstsein hoch eine Zillion. Auch wenn ihr euch keine Vorstellung macht, wie viel wirtschaftliche Energie es kostet, heutzutage eine Aura für sich zu erschaffen. Ein einziger Fehltritt kann schon der Todesstoß sein. Ganz ehrlich, ihr mögt es vielleicht nicht glauben (und bitte erzählt es niemandem weiter), aber ein Mädchen wie ich hat es nicht leicht. Von einem Mädchen wie mir wird selbstverständlich erwartet, dass sie eine Trendsetterin ist. Wenn ich nicht das Schickste und Tollste trage, bin ich nicht die Schickste und Tollste - ich bin unsichtbar: ein formloses Nichts von einem Planeten irgendwo anders im Universum - jedenfalls nicht von jenem, den ihr und ich bewohnen. In letzter Zeit ist es besonders anstrengend geworden, mit der Modesaison Schritt zu halten, von vieren ganz zu schweigen! Wir wissen schließlich alle, wie unendlich wichtig der Ruf ist, und da ich offenkundig auf jedermanns Sehen-und-gesehen-werden-mit-Liste stehe (dank der Tatsache, dass ich die beliebte "In & Out"-Kolumne für meine Schulzeitung schreibe), ist es meine heilige Pflicht, den meinen zu wahren. Meinen Ruf, will ich damit sagen. Die Leute schauen schließlich zu mir auf. Was würden sie sagen, wenn ich (Gott bewahre) in einer L.L.Bean-Gore-Tex-Weste über einem karierten Schulkleid zum Geschichtsunterricht kommen würde - mit einer Marni-Tasche aus der Kollektion der vorigen Saison? (Gott behüte!) He, für Kelly Wintrop ist das kein Problem - sie ist Kapitän der Lacrosse-Mannschaft. Aber für mich? Oh, ich erschaudere schon bei dem bloßen Gedanken daran. Aber wer bin ich wirklich? Na ja, in letzter Zeit stelle ich mir diese Frage selbst recht oft. Einige Leute sagen, rein äußerlich würde ich sie an die junge Jackie Onassis erinnern. Nicht dass ich darauf höre, was die Leute sagen, versteht sich. Aber dieselben Leute, auf die ich nicht höre, sagen auch, ich besäße ein gewisses je ne sais quoi, was - für alle, die kein Französisch können - bedeutet, dass ich einfach fabelhaft bin!Ich selbst sehe mich als eine Suchende. Soll heißen, ich weiß, dass es im Leben Wichtigeres gibt als materielle Dinge. Leider beschränkt sich meine metaphysische Suche in letzter Zeit strikt auf das Einkaufen. (Ich schätze, mehr als dreimal Umziehen pro Tag ist nicht gerade ein Zeichen inneren Friedens, stimmt's?) Doch während ich eifrig damit beschäftigt war, meinem Ruf als Trendsetter gerecht zu werden, habe ich mich wohl ein klitzekleines bisschen hinreißen lassen. Ich meine, wenn es ein einzelnes Wort gibt, das mich beschreibt, dann ist das BESESSEN.Wie jede Obsession fing mein Modefimmel ganz harmlos an - ein bisschen Juicy Couture hier, ein bisschen Miu Miu da, und natürlich gelegentlich ein Accessoire. Aber damit hörte es nicht auf. Als Nächstes kamen die vierzehntägigen Mani- und Pediküren, die CH I-Haarglättungen, die regelmäßigen Tiefenbehandlungen für das Gesicht, die Spray-Tannings und selbstverständlich jeden Samstagvormittag mein Pilates-für-Teenager-Kurs (unschlagbar für straffe Bauchmuskeln). Und na ja, wie hätte ich Toy - meinem allerliebsten neuen Bully-Welpen - das kleine Burberry-Karomäntelchen verwehren können? Ich meine, es ist einfach zu niedlich. Außerdem würde er sich sonst verkühlen, wenn er den ganzen Tag hinten auf meinem Motorroller mitfährt.Wie schon gesagt, ich habe mich da vielleicht ein bisschen hinreißen lassen. Aber die Schuld liegt nicht allein beimir. In Wahrheit ist es so, dass bei mir Kaufen, Geldausgeben, Verprassen, Schwelgen, Verplempern und Verschwenden genetisch veranlagt sind, denn wie die meisten meiner Schulkameradinnen auf der GCA (Greenwich Country Academy) stamme ich von einer langen Reihe von Vorfahren ab, die all dem Obengenannten gefrönt haben, während sie sich die Dienste von Chauffeuren, Masseusen, Oberkellnern, Conciergen, Schustern, Zofen, Kammerdienern, Couturiers, Innendekorateuren, Kindermädchen, Köchen, Schneiderinnen, Sekretärinnen, Zimmerpersonal, Barkeepern, Partyausstattern, Stylisten, Tennisprofis, Psychoanalytikern und einem Heer von anderen, die hier nicht einzeln erwähnt werden können, zugutekommen ließen. Als ich schließlich daherkam, waren jene Wunderjahre allerdings längst vergangen und vorbei. Heutzutage mag chez moi die Fassade für das nackte Auge ja ganz schmuck aussehen, aber darunter sind die Fundamente des Wohlstands meiner Familie, bildlich gesprochen, ein wenig angeknackst.Es ist nämlich so, dass irgendwann Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mein Urgroßvater, der dem Porträt über unserem Kaminsims nach zu urteilen eine stattliche und etwas einschüchternde Erscheinung war, Frankreich verließ und seine Familie nach Amerika führte, mit der Absicht, ein kleines Stück Land zu kaufen, ein Haus darauf zu errichten und sich dort niederzulassen. Was er auch tat. Soll heißen, er kaufte ein Stück Land (rund zwanzig Hektar besten Farmlands mitten in Greenwich), und er baute ein Haus darauf (von der ungefähren Größe eines fürstlichen Chateaus auf Anabolika).Nun, jedenfalls baute er ein Stück weiter von seinem Haus mehrere kleinere Häuser auf dem Grundstück, die alle an meine Großeltern und - beinahe - an meine Mutter vererbt wurden. Das letzte und kleinste Haus, das mein Urgroßvater baute, war das Gärtner-Cottage, und es war schlichtweg bezaubernd. Es ist größer, als die meisten bei der Bezeichnung "Cottage" vermuten würden, und es ist inzwischen randvoll mit allerliebsten Familienerbstücken, superweichen altmodischen Polstermöbeln, Sofas mit herzigen kleinenPetit-Point-Kissen und wärmenden Karodecken, was alles behaglich und kuschelig unter dem pittoresken Schieferdach wirkt. Und dort lebe ich.Worauf ich hinauswill, ist Folgendes: Obwohl mein Heim bezaubernd und geräumig und all das ist und in den Augen des größten Teils der Welt als recht großzügig gelten würde, sind wir am Greenwich-Standard gemessen praktisch obdachlos.Der Rest des Anwesens (ihr erinnert euch: zwanzig Hektar, riesiges fürstliches Chateau) wurde den Gründern meiner Schule gestiftet - Steuerabschreibung, danke auch! - und schließlich Connecticuts erste Höhere-Töchter-Schule.

Weitere Infos

Art:
eBook
Genre:
Romane und Erzählungen
Sprache:
deutsch
Umfang:
348 Seiten
ISBN:
9783641026462
Erschienen:
August 2009
Verlag:
Blanvalet Taschenbuch Verlag
Übersetzer:
Ute Thiemann
5
Eigene Bewertung: Keine
Durchschnitt: 2.5 (1 Bewertung)

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