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Tom - die Bestie

Interview mit Tom, der Bestie aus Stefanie Mauchers "Fida"

Seit ich den Auftrag erhalten habe, das Monster zu interviewen, ist mir schlecht. Und das ist noch untertrieben. Eigentlich möchte ich im Strahl kotzen.

Leider sieht die Redaktion von “Horror and more” solche Ausfälle nicht vor, also raffe ich die kümmerlichen Reste meiner stetig schwindenden Selbstkontrolle zusammen und betrete mit schweißnassen Händen das Gebäude.

Ich habe mich bewusst gegen ein Kostüm mit Bluse entschieden. Der Typ verdient weder den Blick auf meine Beine noch den Hauch eines Parfums. Trotz aller Professionalität werde ich meinen Abscheu nicht hinter einer Lage Make-Up verstecken. Jeans, Rollkragenpullover und Pferdeschwanz sind alles, was ich bereit bin zu geben.

Zwei Bodyguards geleiten mich schweigend zu diesem Termin. Hier ist irgendwie alles tot und kalt. So tot wie…

Noch während ich mich frage, ob es in anderen Trakten des Gebäudes genauso penetrant nach Putzmitteln riecht, bleiben die bulligen Männer stehen. Es folgen einige kurze Anweisungen. Ich habe 30 Minuten, kein Körperkontakt, Mindestabstand von ca. 1,50m. Mein Handy muss ich abgeben. Ebenso meine Zigaretten, mein Feuerzeug und meinen Kugelschreiber – zu meiner eigenen Sicherheit. Die schwere Stahltüre wird entriegelt. Ich habe Angst, bin aber gleichzeitig in Höchststimmung, weil mein Körper mir gnädiger Weise eine großzügige Dosis Adrenalin spendiert. Die zur Seite gleitende Stahltüre gibt den Blick auf einen grau verputzen Raum frei. Er ist nahezu leer bis auf einen Tisch, der locker zwei mal zwei Meter misst und zwei Stühle. Auf einem davon sitzt er. Dass seine Hände durch Stahlmanschetten am Tisch und seine Füße mit ebensolchen am Boden gesichert sind, macht es für mich nicht besser. Auch die beiden Bodyguards, die sich im hinteren Teil des Raumes postieren, ändern nichts daran, dass ich gerade innerlich zerlegt werde. Der Kerl sieht unverschämt gut aus und ist so jung, dass ich seine Mutter sein könnte. Mit einem süffisanten Lächeln hebt er eine gefesselte Hand ein winziges Bisschen an und deutet so auf den freien Stuhl ihm gegenüber. Erst jetzt bemerke ich, dass ich die ganze Zeit nicht geatmet hatte. Mit einem zitternden Schnaufen entweicht mir der angehaltene Atem und dann nehme ich die Einladung an. Einen kurzen Moment muss ich mich noch sammeln und dann schießt die erste Frage aus mir heraus.

Horror and more:
„Thomas, es gibt eine Menge Leser, die sich für Sie interessieren. Darum bin ich hier. Bitte erzählen Sie kurz etwas über sich.“

Er mustert mich, kalt und abschätzend, als wäre er sich noch nicht sicher, ob ich für ihn ein lästiges Insekt bin, das er mit dem Stiefel zertreten möchte, oder eine mögliche Gesprächspartnerin.

Tom:
„Wenn Sie schon meinen vollen Namen verwenden, dann sagen Sie gefälligst ‚Herr Thomas‘! Klar?“

Ein wenig fassungslos und betreten schweige ich dazu, fühle mich unwohl und spüre das Bedürfnis, unbehaglich auf meinem Stuhl herumzurutschen. Er mustert mich noch immer, spöttisch nun, während ich mir denke: „Was für ein arrogantes Arschloch!“ Doch dann verändert sich seine Mine, verzieht sich zu einem bezaubernden, lausbubenhaften Grinsen und er lacht auf:

„War doch nur Spaß! Du kannst Tom zu mir sagen. Wir sind doch Freunde, oder?“

Ich weiß gerade nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Freunde? Nicht einmal in der Hölle!

Horror and more:
„Wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt und wie würden Sie das Verhältnis zu Ihren Eltern beschreiben?“

Tom:
„Ach, sind wir nun wieder beim „Sie“? Warum denn so förmlich, Süße? Meine Kindheit war ganz normal. Mein Vater ging arbeiten, meine Mutter blieb zu Hause und kümmerte sich um den Haushalt. Ich wuchs sozusagen ganz gutbürgerlich auf. Meine Eltern waren Spießer wie sie im Buche stehen. Samstags das Auto waschen, immer freundlich winken, wenn die Nachbarn vorbeifahren. Das Übliche. Unser Verhältnis war O.K. Nur dass sie mir nie einen Hund schenkten, das nahm ich ihnen lange übel.

Heute habe ich kein Verhältnis mehr zu ihnen. Sie sind beide tot.

Auch ansonsten war meine Kindheit normal. Ich hatte viele Freunde, war oft draußen und spielte mit den anderen.“

Horror and more:
„Dass Sie niemals einen Hund geschenkt bekamen, hatte das bestimmte Gründe?“

Tom:
„Meine Mutter fand, Haustiere machen nur Dreck und unterstellte, am Ende würde es ja doch an ihr hängen bleiben, täglich mit ihm nach draußen zu gehen. Sie lehnte das kategorisch ab. Und mein Vater beugte sich ohnehin meistens ihrem Willen. Er war ein Weichei. Ich bezweifle aber, dass er mir, auch ohne den Einfluss meiner Mutter, meinen Wunsch erfüllt hätte. Vor seinem Tod hatten wir, wenn man es so nennen kann, eine interessante Unterhaltung über dieses Thema.“

Horror and more:
„Wie denken Sie, würden andere Menschen Sie beschreiben?“

Tom:
„Sag‘ du es mir! Ich kann nur raten: Charismatisch, gutaussehend und interessant stehen vermutlich weit oben auf der Liste. Du musst auch nichts sagen. Blinzle einfach einmal für „Ja“, das reicht schon. [;)] Klar, es gibt auch andere, die sagen, ich wäre ein Monster, ein Menschenimitator oder der Teufel persönlich. Der Psycho-Onkel, zu dem ich hier regelmäßig gebracht werde, um über das zu labern, was ich getan habe, beschreibt mich als Soziopath, dem es an jeglichem Einfühlungsvermögen mangelt. Auch wenn das Krankenblatt auf dem Kopf stand: Das konnte ich lesen. Aber das ist doch alles Quatsch. Du siehst ja selbst, eigentlich bin ich ein ganz netter Kerl!“

Während mir klar wird, wie intelligent und gleichzeitig abgrundtief böse dieser Kerl ist, wird mir schon wieder schlecht.

Horror and more:
„Und wie würden Sie sich selbst beschreiben?“

Tom:
„Ich schätze, die anderen haben schon Recht: Charismatisch, interessant und gutaussehend passt schon.“

Ich falle fast vom Glauben ab, lasse mir aber nichts anmerken und setze zur nächsten Frage an.

Horror and more:
„Warum, glauben Sie, sind Sie hier?“

Tom:
„Weil ich charismatisch, gutaussehend und interessant bin? Oder meinen Sie, warum ich hier im Knast sitze? Vermutlich, weil das blöde Miststück mit ihrer Nagelpistole eben doch nicht ganze Arbeit geleistet hat, hm? An meinen Beinen hatte ich üble Verbrennungen und man musste mir Haut transplantieren. Mir ging es ne ganze Zeit lang ganz schön beschissen. Auch die Nägel haben ihre Spuren hinterlassen. Aber meinem guten Aussehen tut das doch keinen Abbruch, oder? Ich finde, es gibt mir etwas Verwegenes.“

Hattest du ein Glück, dass nicht ICH die Nagelpistole hatte!

Horror and more:
„Fühlen Sie Schuld oder Bedauern?“

Tom:
„Weshalb? Reue und Schuld sind für die Schwachen da. Es ist doch nicht meine Schuld, dass quasi die ganze Welt vollkommen verrückt geworden ist. Das sieht man doch an so Scheiße wie Emanzipation und „Selbstverwirklichung der Frau“ ganz gut. Früher, als wir noch in Höhlen hausten, oder auch später, in vergangenen Jahrhunderten, war die Rollenverteilung klar und daran hatte auch niemand etwas auszusetzen. Der Mann schaffte das Fleisch ran und die Frau kochte es. Man wusste genau, wer zu Hause die Hosen an hat. Was soll daran auf einmal falsch sein? Die meisten Männer sind doch nur viel zu verweichlicht, um auch mal mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Fida hatte es doch nicht schlecht bei mir. Die Leute verstehen nur nicht, was für eine Beziehung wir zueinander hatten. Sicher, der Beginn war ungewöhnlich, doch wer denkt, Fida hätte immer nur gelitten, der irrt gewaltig. Ich habe gut für sie gesorgt und es fehlte ihr an nichts.“

Horror and more:
„Einen Menschen zu unterwerfen, zu quälen und zu demütigen ist in Ihren Augen also vollkommen normal und menschlich? Hätten Sie Fidas Rolle akzeptiert, wenn Sie in ihrer Haut gesteckt hätten?“

Tom:
„Na, na, na, quälen und demütigen klingt nun aber ein wenig vorverurteilend. In Unterwerfung, ja, darin sehe ich einen gewissen Reiz. Wie gesagt, ich finde einfach, die Rollen sollten klar verteilt sein. Dass die eine oder andere Erziehungsmaßnahme vonnöten war, um die Grenzen erst mal abzustecken, das möchte ich ja gar nicht bestreiten. Doch das lag bestimmt nicht nur an mir. Ich tat nur, was nötig war und das ging nur mich und Fida etwas an. Man hätte sich da nicht einmischen sollen. Anfangs war es ihr vielleicht nicht bewusst, doch je mehr sie in ihre Rolle hinein wuchs, desto größer wurde unsere Chance, miteinander glücklich zu werden. Wenn sie nicht so widerspenstig gewesen wäre, dann hätte ich ihr auch mehr Freiheiten lassen können. Ich bin kein Unmensch. Aber man muss sich auch an die Spielregeln halten!“

Horror and more:
„Was möchten Sie der Welt mitteilen?“

Tom:
„Mädels, die Nächte hier im Knast sind einsam! Aber die Gefängnisdirektion leitet eure heiße Post gern an mich weiter. Und falls meine kleine Fida hier mitliest: Ich denke jede Nacht an dich, Baby!“

Kurz überlege ich, seinen Aufenthaltsort an die hiesigen Rockergangs weiter zu leiten.

Horror and more:
„Wo sehen Sie sich selbst in 20 Jahren?“

Tom:
„Sicher nicht mehr in Einzelhaft. Ich bin guter Dinge, dass mein Anwalt das Strafmaß noch runter handeln kann und ich bei guter Führung nicht mehr als 10 Jahre absitzen muss. Für mich spricht schließlich, dass ich keins der Mädchen ermordet habe. Was mit Laura geschah, ist bedauerlich, aber letztlich darf man nicht vergessen: Ich habe sie nicht umgebracht.“

Ich erinnere mich, dass man im Mittelalter das Urteil „für vogelfrei erklären“ oft und effektiv anwandte. Jetzt wäre die Gelegenheit, eine Wiedereinführung zu diskutieren. Leider kann ich nur zähneknirschend zur nächsten Frage übergehen.

Horror and more:
„Wenn Sie die Zeit zurück drehen könnten, welche Änderungen würden Sie vornehmen?“

Tom:
„Unter uns –ich möchte aber nicht, dass das in dem Artikel erscheint (das hättest du wohl gerne!) – ich würde die Kette gleich im Boden einlassen. Offiziell: Diese letzte Frage möchte ich nicht beantworten.“

An dieser Stelle weigert sich alles in mir, diesem Drecksack für das Interview zu danken. Also stehe ich ein wenig zu abrupt auf und werfe fast meinen Stuhl um, als ich mich panisch vom Tisch abstoße. Mit einem letzten Blick registriere ich, dass sein linker Fuß nicht mehr in der Manschette steckt und er lässig die Beine übereinander geschlagen hat. Ich drücke das Aufnahmegerät an mich und quetsche mich hastig durch den kleinen Spalt der leicht geöffneten Stahltüre als sei der Teufel hinter mir her. Sein Lachen folgt mir. Draußen warte ich gar nicht erst auf meine persönlichen Sachen, sondern hetze völlig aufgelöst aus dem Gebäude. Erst bei meinem Auto bleibe ich stehen, schnappe nach Luft und werfe das Diktiergerät angewidert auf den Beifahrersitz.

FIDA

Kommentare

Lesezeichen kommentierte am 13. Oktober 2013 um 16:55

Wow, toll geschrieben! In meinem Kopf tanzen Bilder von Hannibal Lecter und Clarice Sterling,ein selbstverliebter Augenjäger beherrscht meine Gedanken und die erschreckende Erkenntnis einer ohnmächtigen Verletzbarkeit bleibt zurück. Das ist Horror mal ganz ohne Blut! 

Maraki Mary kommentierte am 14. Oktober 2013 um 16:41

Ich bin immer noch baff vom Artikel!! Sehr spannend und toll geschrieben.

Es ist verblüffend zu sehen, wie ein Mensch uns Angst machen kann ohne uns direkt zu bedrohen oder anzugreifen.

Horror and more kommentierte am 14. Dezember 2013 um 14:51

Danke euch :-)