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Der Bestseller-Code - für den amerikanischen Markt scheint er zu funktionieren

Der Bestseller-Code: Was uns ein bahnbrechender Algorithmus über Bücher, Storys und das Lesen verrät

Jodie Archer und Matthew L. Jockers haben computerbasiert, aus rein linguistischer Sicht Stil, Figuren und Handlungsverlauf von Bestsellern der New-York-Times-Bestsellerliste analysiert. Da das Etikett NYT-Bestseller bisher mit großer Treffsicherheit Bücher markierte, die mich beim Lesen enttäuschten, schlug ich den Buchdeckel mit seinem reißerischen Titel mit sehr gemischten Gefühlen auf. Im ersten Kapitel signalisierte mir die Sprache, die ich in der deutschen Übersetzung für das Thema selbstlernende Systeme zu altertümlich fand, dass hier von den Verfassern ausschweifend klassisches US-amerikanisches Marketing betrieben würde. Altertümlich wirkte die Einführung deshalb, weil Entwickler, die ihre Brötchen in dieser Branche verdienen, zwar von selbstlernenden Systemen berichten, selten jedoch von maschinenlernenden.

Vom 2. Kapitel an konnte mich das Versprechen der Autoren fesseln, dass ihr computergestützter Bestseller-o-Meter mit 80%iger Wahrscheinlichkeit voraussagen könnte, ob ein Manuskript es auf die NYT-Bestsellerliste schaffen würde. Als „Futter“ des stilanalysierenden selbstlernenden Programms dienten neben 500 Bestseller-Titeln der NYT-Liste Romane des 19. Jahrhunderts, Science Fiction, Fantasy, Romantik und weniger erfolgreiche e-book-Titel bisher unbekannter Autoren. Bevor Romantexte PC-gestützt ausgewertet werden konnten, musste man sich auf den verlegerischen und buchhändlerischen Instinkt verlassen; exakte Voraussagen über den Erfolg eines Roman-Manuskripts waren jedoch noch nicht möglich. Das Archer/Locker-Team untersuchte nun, welche Themen sich Leser wünschen, die erfolgversprechendste Themengewichtung innerhalb des Textes, Handlungskurve und Erzähltempo. Die Summe dieser Faktoren bildet bei Lesern quer durch alle Leserschichten das Markenzeichen eines erfolgreichen Autors. Als herausragend erfolgreiche Autoren werden Danielle Steel und John Grisham vom PC-Programm TOP-Positionen zugeschrieben, in Übereinstimmung mit der NYT-Bestseller-Liste.

Die Treffsicherheit dieses Bestseller-Tools ist wirklich verblüffend und wird durch Mustererkennung und Kombination verschiedener Faktoren möglich. Mit großer Heiterkeit konnte ich über die IT-gestützte Enttarnung von Robert Galbraith als Joanne K. Rowling in der Gegenwart und von Richard Bachman als Stephen King durch den Instinkt eines Buchhändlers in der Vergangenheit lesen. Was kann die rechnergestützte Analyse der beiden Literaturexperten, was ein täglich genutztes agiles Buchhändlergehirn nicht kann, habe ich mich natürlich gefragt. Nachdem ich mich mit dem Girl-Trend des neuen Sub-Genres von “Gone Girl”, “Girl on the Train” und “The Girl with the Dragon Tattoo” befasst hatte, ging es mit der Frage zur Sache, ob es einen perfekten, prognostizierbaren TOP-1-Sieger-Titel gibt, wie ein unbekannter Autor es überhaupt erst auf eine Bestseller-Liste schafft, und ob Romane zukünftig gleich rechnergestützt von PC-Programmen geplottet und formuliert werden. Die vom PC-Programm generierte Bestenliste hat leider meine Erfahrung bestätigt, dass Bücher von US-Bestenlisten mich häufig enttäuschen. Das erste für mich interessante Buch taucht erst auf Platz 29 auf, nur 12 der 100 Romane habe ich gelesen oder möchte sie lesen.

Wer sich dafür interessiert, was Buchleser wünschen, ob ein Bestseller einen prominenten Namen, ein üppiges Werbebudget oder eher Fingerspitzengefühl für die Wünsche der Massen voraussetzt, kann hier interessante Einsichten gewinnen. Sie erfahren, warum 50 Shades of Grey vermutlich kein Zufallstreffer einer Anfängerin war, wie es der unbekannte Anthony Doerr auf die Liste schaffte, welche Tipps aus Schreibratgebern sicher zum Misserfolg führen oder woran stilsichere Sex-Szenen zu erkennen sind.

Plassen Verlag 2017. 248 Seiten. ISBN-10: 3864704995. ISBN-13: 978-3864704994. 19,99€. Originaltitel: The Bestseller Code

 

Kommentare

lesesafari kommentierte am 13. Februar 2019 um 14:00

So geht das!! Endlich mal Mutige, die interessante Artikel verfassen.
Ich hätte jetzt eher erfahren wollen, wie das Buch denn hätte sein sollen, wie sas Cover, welche Figuren, Charaktereigenschaften, Handlungen etc. Aber genau, das ist wahrscheinlich zu menschlich gedacht und funktioniert in einer so extrem digitalisierten Welt nicht mehr.
Ich habe mir gestern die Richtlinien bei Instagram durchgelesen, total überschaubar (es ist ein laaaanger Text) und verständlich. Was auf der FB-Seite ja nicht der Fall ist. Danach war mir alles klar und genauso scheint auch das Buch aufgebaut zu sein. Da kann man nur noch die Hand vor die Augen halten.
Es wird sogar registriert wie der Akkuladestand meiner nicht genutzten Geräte im WLAN ist und wie ich den Cursor bewege. Vermutlich um mir dann genau im Moment des Ausgehens der für mich bestprognostziertesre Werbeanzeige an der Stelle anzuzeigen, die ich für gewöhnlich zuletzt anklicke. Das bleibt ja bekanntlich länger im Gedächtnis. Und wenn der Akku wieder voll ist, ich es aber nicht mehr geschafft habe, die Fenster zu schließen, ist es auch die erste Werbung die ich sehe.
Tricky, bestimmt erfolgsversprechend für den Absatz, aber keine Garantie für meinen privaten Geschmack.

Buchdoktor kommentierte am 13. Februar 2019 um 17:31

Du erfährst schon allerlei darüber, wie ein Bestseller gestrickt wird und welche Merkmale erfolgversprechend ist. Fragt sich nur, ob man mit NYT-Bestsellern die Menschen glücklich macht ...

lesesafari kommentierte am 13. Februar 2019 um 22:23

Genau. Es muss gut sein. ;)