Buch

Der Fluss der Sterne - Michael Flynn

Der Fluss der Sterne

von Michael Flynn

Präludium: Das SchippSie nannten sie River of Stars, und im Jahr 2051 breitete sie ihre supraleitenden Sonnenwindsegel aus. Damals musste sie einen prachtvollen Anblick geboten haben: der Rumpf neu und glänzend, ihre Segel in Regenbogenfarben schimmernd, die Besatzungsmitglieder mit weißen Handschuhen und in schwarz-silbernen Uniformen, die Passagiere reich und köstlich dekadent. Es waren Morphi-Stars und mit Juwelen geschmückte Matriarchinnen, Sporthelden und Prostituierte, Gangster, Computerfreaks und Mitglieder sogenannter Königshäuser. In jenen Glamourjahren beherrschten Magnetsegel den Himmel, und die River of Stars war das größte und prächtigste Schiff einer wunderschönen Flotte.Doch die ruhmvollen Jahre vergingen schnell. Coltraine war noch ihr Captain, als das Geschäft mit dem Luxus nachließ und aus der Flut der Reichen und Berühmten ein Rinnsal wurde. Und selbst jenen wenigen, die noch nach dem Erlebnis lechzten, wurde klar, dass es nicht mehr der Mode entsprach. Aber wie Coltraine zu Toledo sagte, als er ihr das Kommando übergab: Das Geschäft mit dem Luxus war von Anfang an zum Untergang verurteilt gewesen. Sex, Laster und Dekadenz hatten einen sichereren Platz auf der Erde. Für ein Schiff mit solchen Schwingen gab es noch ehrbare, wenn auch alltägliche Dinge zu tun.Der Mars war damals das Zentrum des Geschehens. Abenteurer, Sandkönige, Taugenichtse, Terraformer, zweite Söhne, unanständige Mädchen und Zeppelinpiloten - der Mars zog sie an, brach einige und spuckte andere aus. Selbst Besatzungsmitglieder ließen sich manchmal beim Erreichen des Mars auszahlen und machten sich auf zu den bunten Verlockungen von Port Rosario. "Manchen Reichtum ward gegeben", hieß es in dem alten Lied,"Andren nahm der Mars das Leben. Manche erschienen im Heuerhort. Und wollten wieder zurück an Bord."Toledo und später auch Johnson und Fuhsi trugen Hoffnungen nach draußen und kehrten mit Splittern zurück. Jene Epoche war von einer prickelnden Energie bestimmt gewesen, die die müde alte Erde seit LEOs Zähmung während der Zermürbenden Zehner nicht mehr gesehen hatte, und das Erkunden neuer Grenzen bereitete der River mehr Stolz als das Streicheln der Reichen und Berühmten.Das Farnsworth-Triebwerk leitete schließlich ihren Niedergang ein. Fuhsi sah es kommen und quittierte den Dienst, was vor ihr kein anderer Captain der River getan hatte. So fiel es Terranova zu, das einst stolze Schiff gedemütigt zu sehen. Magnetsegel hatten das All vierzig Jahre beherrscht, und die River of Stars fast zwanzig, doch das Farnsworth-Triebwerk machte Jupiters Monde zur neuen Grenze. Das Luna-Ganymed-Rennen ging in die Geschichte ein, und das Magnetsegel wurde nur noch als Fusionskorrekturtriebwerk eingesetzt. Terranova hätte sich nie auf die Wette einlassen sollen, aber es war eine Frage des Stolzes - und der Stolz liebt die Niederlage mehr als eine Kapitulation.Für eine Weile blieb die River in Jupiters Magnetosphäre und war geschäftlich aktiv, indem sie der äußeren Atmosphäre des Gasriesen Wasserstoff entnahm. Die Rivers hielten sich lange Stunden im schier unerträglichen Heulen der Kompressoren auf und bestätigten sich gegenseitig, wie wichtig sie noch waren."Die Farnsworther können nicht fliegen, ohne den >H<, den sie von uns kriegen."Doch tief in ihrem Herzen wussten sie, dass sie nicht mehr waren als Wasserträger für die Atomis.2083 kaufte die Centaurus Corporation die MSS River of Stars und stattete sie in den Deimos-Werften mit vier Farnsworth-Käfigen aus. Für die Crew war das die größte Demütigung. Sakrileg, rief einer der Veteranen, als sie ihre Kojen aufgaben, und der Rest bereitete Ingenieur und Maat nicht unbedingt ein herzliches Willkommen. Die River behielt sowohl Segel und Takelage - wegen der Flexibilität, behauptete das Management - als auch ihre geschätzte MSS-Bezeichnung. Offiziell galt sie als "Hybridschiff", inoffiziell als Bastard. Der Segelmeister grübelte über die Situation nach, und vier Tage hinter Deimos ging er durch die Luftschleuse, um mit dem Langen Weg zu beginnen. Den Ingenieur ließ er mit einem Messer im Herzen zurück.Es kam zu einem großen Skandal. Der Untersuchungsausschuss war eine Sensation, und die Entscheidung stand bereits fest. Centaurus legte die River still, ohne sie je geflogen zu haben.Rettet die River, erscholl der Ruf. Segelbegeisterte voller Sehnsucht nach der Zeit des Zaubers und der Romantik verpfändeten ihre Habseligkeiten - obwohl Zauber und Romantik zu jenem Zeitpunkt bereits verschwunden waren. Die Crew investierte ihre Prämien und Gefahrenzulagen, und auf dem Totenbett fügte Coltraine seinem Testament ein großzügiges Kodizill hinzu. Das Konsortium kaufte die River, nahm sie auseinander und baute sie zum Frachter um. Die Luxusmodule, der Klub Drei Delfine, das Kasino Schwarzer Himmel - nichts davon blieb übrig. Die River bestand nur noch aus der einen, dicken Scheibe der ehemaligen primären Decks, und große Teile der inneren Sektionen wurden aufgegeben. Nur der lange, elegante Aerogel-Hauptmast erinnerte an vergangene Segelzeiten - doch er diente allein der Zierde. Auf Wirtschaftlichkeit kam es an, und nach einem letzten, viel zu kurzen Segelflug wurden die supraleitenden Ringe aufgespult und gelagert.Und so kam es, dass im Jahr 2084 der Allgemeinen Ära die MSS River of Stars als Trampfrachter aufbrach und damit begann, im Mittleren System Frachtgut zu transportieren.Anschließend ging es mit ihrem Glück zu Ende.Den CaptainEvan Dodge Hand, Captain des Trampschiffs River of Stars, seufzte und blickte in den Belüftungsschacht seiner Kabine. Der Schmerz schien jetzt fern zu sein, irgendwie irreal, als beträfe er jemand anders. Sein Körper war nur noch eine Hülle, etwas, das keine Rolle mehr spielte. Er hatte das Gefühl, dass er - der "Er", der er selbst war - damit begann, den Leib zu verlassen und darüber zu schweben. "Mr. Gorgas", wandte er sich an den Ersten Offizier, der ein wenig abseits saß, mit einem 'Puter beschäftigt. "Mr. Gorgas, ich habe das Gefühl zu schweben."Der Erste Offizier Stepan Gorgas sah kaum von seinem Laptop auf. "Natürlich schweben Sie. Das Triebwerk ist deaktiviert. Derzeit beschleunigen wir nicht." Er fragte sich bei diesen Worten, warum Corrigan noch nicht auf den Grund dafür hingewiesen hatte."Tragen Sie dies ins Logbuch ein, Mr. Gorgas: Wenn ein Mensch stirbt, schwebt seine Seele fort. Die Beobachtung könnte sehr bedeutsam sein. Sorgen Sie dafür, dass sie gepostet wird."Gorgas seufzte. "In Ordnung", sagte er und brachte seine österreichische Infanterie näher an Austerlitz heran.

Weitere Infos

Art:
eBook
Genre:
Science Fiction
Sprache:
deutsch
Umfang:
800 Seiten
ISBN:
9783641026837
Erschienen:
August 2009
Verlag:
Heyne Verlag
Übersetzer:
Andreas Brandhorst
7
Eigene Bewertung: Keine
Durchschnitt: 3.5 (1 Bewertung)

Rezension schreiben

Diesen Artikel im Shop kaufen