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Das Fehlen des Flüsterns im Wind ... und andere phantastische Kurzgeschichten aus dem Halbdunkel - Miriam Schäfer

Das Fehlen des Flüsterns im Wind ... und andere phantastische Kurzgeschichten aus dem Halbdunkel

von Miriam Schäfer

Lichtbringer

Dreonorths Haut brannte vor Kälte. Obwohl seine Nachtwache erst begonnen hatte, unterdrückte er nur mit Mühe ein Zähneklappern. Das Lagerfeuer zu seinen Füßen, kaum mehr als leise aufbegehrende Glut, die innerhalb eines schützenden Steinkreises schwelte, war nicht imstande, ihn zu wärmen oder die Welt bis zum Ende seines ausgestreckten Armes zu erhellen. Der eisige Wind, der vom Meer heraufzog, zerrte hungrig an seiner Kapuze und peitschte ihm vereinzelte Schneeflocken ins Gesicht. Sein Pfeifen erfüllte Dreonorths Ohren. Er war gewiss, was immer in der Finsternis lauern mochte, es wäre diesem ein Leichtes, sich heranzuschleichen und ihn hinterrücks zu erdrosseln. Die Nächte hier waren dunkel wie die tiefsten Abgründe der Hölle. Sie schienen nur darauf zu warten, ihn zu verschlingen, während der Sturm lärmte, um diese hinterhältige Tat zu vertuschen. Sie hatten in den vergangenen Tagen genug erlebt; er wusste, dies war ein Verderben bringender Ort. Je schneller sie von hier fortkamen, desto besser für sie alle. Aber noch lag die Anlegestelle ihrer Schiffe einen Tagesmarsch entfernt. Eher zwei, bedachte man die vielen Verwundeten. Er schlang die Decke enger um sich und starrte in die Dunkelheit. Nebel stieg auf. Dreonorth wusste nicht, was schlimmer war. Die vollkommene Finsternis oder der dichte, unnatürliche Dunst, den die Böen jede Nacht vom Meer herantrugen und der die Gestalten und Gesichter aus seinen Albträumen mitbrachte. Nicht zum ersten Mal verfluchte er die Nachtschicht, dieses Land und seinen König, dessen Gier sie in diese vermaledeite Kälte geführt und der geweckt hatte, was nicht hätte geweckt werden dürfen. Angespannt beobachtete Dreonorth, wie die Schwaden sich trotz des Sturms unaufhaltsam ausbreiteten. Sie waberten um den umgestürzten Baumstamm, auf dem er saß, ehe sie durch die Böschung auf das Feldlager in seinem Rücken zukrochen, dabei die weiße Mauer immer höher zogen und alles in Schweigen erstickten. Bleiche Arme liebkosten seine Schultern, strichen über sein Gesicht und benetzten seinen Bart und seine Augenbrauen mit Feuchtigkeit, die in der eisigen Luft sogleich gefror. Unruhig knetete er seine Hände. Die Finger waren trotz der schweren Handschuhe nahezu taub. Plötzlich sprang Dreonorth auf, die Hand am Schwertgriff. »Wer da?«, zischte er, doch der Wind trug seine Worte davon. Er lauschte angestrengt, aber erhielt keine Antwort. Ein schabendes Geräusch vermischte sich mit dem Brausen des Sturms, als seine Klinge die Scheide verließ. Da war doch jemand! Oder hatte er sich getäuscht? Es war unmöglich, in diesem Nebel einen klaren Kopf zu bewahren. »Paladin …« Da! Eindeutig rief jemand nach ihm! »Eure Hoheit?«, fragte er zurück. Wieder kam keine Antwort. Er korrigierte den Griff seiner Schwerthand und streckte seine steif gefrorenen Glieder, ehe er einige Schritte von der Feuerstelle zurücktrat. »Wer ist da?« Diesmal spürte er das Flüstern direkt an seinem Ohr und es war so schneidend wie die Kälte, die ihn umgab: »Was glaubt Ihr, was Ihr hier tut?« Er fuhr herum, doch auch hinter ihm stand niemand. Ein Windstoß blies Dreonorth die Kapuze vom Kopf. »Ich fordere Euch auf: Zeigt Euch!« Unheimliches Gelächter erklang, aber noch immer war nichts zu sehen, nichts als weißer, flockendurchwirbelter Dunst, der sich lichtete und wieder zusammenzog. Dreonorth spähte angestrengt umher und wartete. Sein Herz schlug heftig unter der schweren Brustplatte. Nichts geschah. »Verfluchter Nebel«, knurrte er und wollte gerade auf seinem Baumstamm Platz nehmen, als die Stimme wisperte: »Glaubtet Ihr, Ihr könntet ungestraft unser Land betreten und nehmen, was Euch beliebt? Ihr seid wahrlich töricht, Paladin!« »Es reicht!«, donnerte Dreonorth. »Beim Namen König Leargats, ich befehle Euch, Euch zu zeigen!« Aufmerksam beobachtete er seine Umgebung. In einem Moment glaubte er, ein Gesicht im Nebel zu sehen, im nächsten war es fort.

Weitere Infos

Art:
eBook
Sprache:
deutsch
ISBN:
9783862825653
Erschienen:
März 2018
Verlag:
Acabus Verlag
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