Rezension

Durchwachsen

»Du wirst noch an mich denken« -

»Du wirst noch an mich denken«
von Dorothee Röhrig

Bewertet mit 3 Sternen

Man kann das Buch lesen, muss es aber nicht

Ich habe das Buch aufgrund einer Radio-Empfehlung Westermanns gekauft und gelesen. Wie viele Frauen interessiert auch mich das (eigene) Mutter-Tochter-Verhältnis und dessen Einfluss auf das eigene Leben bzw. nachfolgende Generationen. Der Titel 'Du wirst noch an mich denken' zog mich in seinen Bann, ist er doch ein geflügeltes Wort, das schon so manch eine von uns von der eigenen Mutter oder Verwandten gehört hat. Zudem erfährt man noch einiges Wissenswertes über die Familien Bonhöfer/Dohnanyi. Röhrig teilt ihren Roman in zehn Kapitel auf, in Altersabschnitte von ihrem 0.ten bis zum 70. Lebensjahr, gleich den Ringen eines Baumes und ihren eigenen Reifestadien. Die Autorin ist 1952 geboren. Ich möchte hier inhaltlich keine Etappen der Biographie nennen, das mag jeder für sich selbst nachlesen.

Ich tue mich ein diesmal ein wenig schwer mit einer Rezension. Ich kann auch nicht ganz genau festmachen, woran es liegt, vielleicht erscheint mir der Roman streckenweise zu banal und zu persönlich, eine merkwürdige Kombination, gefühlt. Röhrig schreibt im Nachgang, dass sie sich mit dem Schreiben des Buches selbst ein Geschenk gemacht habe, Schreiben ist immer etwas Persönliches, kann heilsam sein, schreiben befreit und setzt Erkenntnisprozesse in Gang. Sie hätte auf diese Art auch noch nach dem Tod ihrer Mutter zwei weitere Jahre mit ihr verbringen können.

Bis zur ersten Hälfte des Romans habe ich das Buch regelrecht als 'langweilig' empfunden, aus meiner Warte eine Aneinanderreihung von abgehackten, kurzen Sätzen, was wann in Röhrigs Leben/Familie geschah.Ich möchte der Autorin kein Unrecht tun, aber ich fühlte mich als Leserin 'außen vor', als Beobachterin aus der Vogelperspektive, Zaungast, aber wenig involviert in das (literarische) Geschehen. Ich fragte mich, wen das eigentlich alles interessieren soll, diese ganz persönliche Kindheits- und Jugendzeit. Was Röhrig über ihre Pubertät schildert, ist nichts Außergewöhnliches, dies erst einmal von zuhause weg wollen, sich unverstanden fühlen usw. Schon das erste Kapitel ist mir viel zu lang. Ich mag kürzere Kapitel, sodass man täglich mal hier eins, da eins zwischendurch lesen kann.

Manchmal tauchte spontan ein toller Satz auf, v.a. für Menschen, die solche Konstellationen kennen, wissen, worüber Röhrig schreibt, z.B. zum Thema Familiengeheimnisse/Sprechtabus/Konfliktscheue und das Verstecken von Emotionen: 'Wo Leid ferngehalten wird, entsteht neues: So dachte damals keiner' (31) und 'Dieses Versteckspiel der Emotionen wird in unserer Familie früh erlernt und an die Kinder weitergegeben. An meine Mutter. Und an mich(90)'. Will heißen, dass es nicht immer hilfreich ist, wenn alles unter den Tisch gekehrt wird, über Dinge nicht gesprochen wird, weil sie doch an einem 'nagen'. Ganz nett sind auch die 3,4 Fragen, die Röhrig an ihre Mutter, an sich selbst in jedes Kapitel einwebt. Der Sprachstil ist relativ schnörkellos, literarisch nicht besonders anspruchsvoll oder hochtrabend, eine seltene Metapher hat mir gefallen 'Seit ich erwachsen bin, habe ich versucht, die dunkle Wolke über uns loszuwerden' (226). Ab S. 160 (das Buch hat 231 Seiten) endet dann erst einmal die Banalität der Geschichte, als die Autorin die Kriegs- und Nazizeiterlebnisse aus Sicht der tatsächlich betroffenen Familienmitglieder schildert. Letztlich ist es ein Erkenntnisbuch, ein Therapiebuch für die Autorin selbst, denn über die Familien Bonhöfer/Dohnany hat der Leser ja im Grund genug anderweitige Möglichkeiten, sich zu informieren. Es fehlt schmerzlich die Perspektive der Mutter, leider (nicht mehr) umsetzbar. Das anhängende Kapitel mit den Zitat-nachweisen ist völlig unbrauchbar, es gibt keine Fußnotenziffern. Röhrig erwähnt ein paar Worte aus dem Zitat und wo sie es her hat, eine Zuordnung im Kapitel ist nicht wirklich möglich bzw. nervenaufreibend.

Dieses Buch lässt mich also sprachlos zurück. Sprachlos, weil ich nicht weiß, was ich über es denken soll und weil es für mich persönlich zwar ganz nett zu lesen, aber keine inhaltliche oder sprachliche Bereicherung ist. Das ist meine ganz subjektive Meinung, mag für andere nicht gelten. Das mag auch damit zusammen hängen, dass ich selbst Autorin bin und mich auch Jahrzehnte mit der eigenen Familiengeschichte beschäftigt habe, ohne aber den Leser mit banalen oder allzu persönlichen Details zu langweilen, sondern familiäre Dinge allenfalls als Aufhänger für Themen genutzt habe, die ich recherchierte und literarisch aufbereitete, wie z.B. die Epigenetik, den emotionalen Rucksack oder Traumata der Kriegsgenerationen.