Rezension

Ein einfühlsames Zeitzeugnis

»Du wirst noch an mich denken« -

»Du wirst noch an mich denken«
von Dorothee Röhrig

Bewertet mit 4.5 Sternen

Autorin: Dorothee Röhrig, Genre: Biografie, Verlag: dtv, ISBN: 978-3-423-29044-9, 2. Auflage 2023, 253 Seiten, Preis Hardcover €24,00

Vertraut und fremd zugleich Als Dorothee Röhrig auf ein altes Foto ihrer Mutter stößt, setzt sich ein Gedankenkarussell in Bewegung. Was weiß sie über diese Frau, die 18 war, als ihr Vater Hans von Dohnanyi hingerichtet wurde? Die nach dem Krieg versuchte, ihre traumatisierte Mutter Christine in das Familienleben einzubetten – so wie die Autorin später selbst für ihre von Verlusten gezeichnete Mutter da war.
Mit großer emotionaler Ehrlichkeit erzählt Dorothee Röhrig vom widersprüchlichen Verhältnis zu ihrer Mutter und der Rolle der Frauen in einer außergewöhnlichen Familie. Ein Nachdenken über die Ambivalenz der Gefühle und darüber, was es heißt, Teil einer Familie zu sein, die jedem Einzelnen viel abverlangt. (Klappentext)

Die Autorin hat ein interessantes und schönes Zeitzeugnis geschaffen. Ihr Großvater Hans von Dohnanyi hatte im Widerstand gegen Hitler gekämpft und wurde kurz vor Ende des Krieges hingerichtet. In der Familie Dohnanyi/Bonhoeffer legt man Enttäuschungen zum Übrigen. Dorthin wo schon die vielen anderen Widrigkeiten des Lebens liegen.

Leg es zum Übrigen. Das sagte Großmama jedes Mal, wenn Erwartungen nicht erfüllt wurden und Enttäuschungen ertragen werden mussten. Leg es zum Übrigen – ein geflügeltes Wort, das meine Mutter übernimmt und immer wieder benutzt. S 68

Die Bürde und Last der Verantwortung wird selbstverständlich getragen. Gefühle zeigt man nicht, jeder Affekt wird kontrolliert. Man versteht sich als anders als die anderen und vor allem besser, als die einfachen Leute. Intelligenz zählt mehr als Herzenswärme. Die Autorin schreibt darüber, wie sich der rote Faden durch Generationen spinnt und Traumen an die nächsten weitergegeben werden. Die analytischen Einblicke in die Person, die ihre Mutter war, kommen mir von meiner eigenen Mutter und Schwiegermutter bekannt vor.

Während den Reibereien mit der Mutter, versucht die Autorin immer sie selbst zu bleiben.

Es bleibt ein Traum, dass ich meiner Mutter zu sagen wage, was ich denke. Lieber packe ich sie in Watte und spitze die Pfeile in meiner Fantasie. Das ist sicherer. Gefühle sind in der Familie deutlich abgegrenzte Sperrzonen, Schwächen erst recht. Man kann jederzeit auf eine Mine treten, wenn man meiner Mutter zu nah kommt. Ich weiß eben doch, wen ich vor mir habe. S.158

Im Verlauf der Geschichte findet eine Versöhnung von Tochter zur Mutter statt und am Ende ist es wirklich eine Liebeserklärung geworden.

Der Autorin liegt auch am Herzen, dass die Menschen, die gegen Hitler gekämpft haben, endlich nicht mehr als Volksverräter betrachtet werden, sondern ihre wohlverdiente Anerkennung bekommen. 

Dieses Versagen der Nachkriegsjustiz ist ein dunkles Kapitel der deutschen Justizgeschichte und wird dies bleiben. S. 205

Fazit: Die ersten Buchseiten schienen mir allzu brav. Etwa ab Seite 90 hatte die Autorin meine volle Aufmerksamkeit. Gewöhnungsbedürftig fand ich, dass die Ich-Erzählerin im Präsens schreibt. Am Ende ist es ein hervorragend geschriebenes, berührendes Buch, das ich gerne gelesen habe. 

Die Autorin: Dorothee Röhrig, 1952 in Tübingen geboren, ist Journalistin und Autorin. Sie war viele Jahre lang in gehobenen Positionen für verschiedene Frauen- und Publikumszeitschriften tätig. 2005 gehörte sie zum Gründungsteam der Zeitschrift -Emotion- und war lange Chefredakteurin. Dorothee Röhrig ist Mutter einer Tochter und lebt mit ihrem Mann in Hamburg.