Rezension

Einmal ein Wikinger sein

Erik der Rote -

Erik der Rote
von Øystein Morten

Entdeckergeschichte so spannend rekonstruiert, dass man sich lesenderweise gleich selbst als Neulandsuchender fühlt. Der Autor geht dabei einigen nordischen Sagas auf den Grund. Für alle, die schon immer weisse Flecken in ihrem Atlas erforschen wollten.

Kann Geschichtsforschung spannender sein als jeder Krimi? 

Sie kann! 

Dies beweist eindrücklich der norwegische Wikinger-Spezialist Øystein Morten in seinem Buch über die Entdeckung Grönlands und später Amerikas durch Erik den Roten und seine Familie. Er nimmt uns mit auf eine lange, spannende Reise zwischen den Jahren 945 (dem Geburtsjahr Eriks des Roten) und 1006 (als Leif Eriksson von seiner Entdeckungsfahrt nach Westen nach Grönland zurückkehrt). Wir fliegen mit ihm virtuell von Island nach Grönland und weiter, hinüber nach Neufundland, südwärts den heutigen kanadischen Küsten entlang, immer auf der Suche nach Spuren aus der Wikingerzeit, nach Orten, die die Handlungen der Sagas bestätigen könnten. 

Øystein Morten schreibt, dass die Entdeckungslust der Winkinger mehrere Triebfedern hatte. Dazu gehörten die gesellschaftliche Stellung, die ein Entdecker gewinnen konnte ebenso wie wirtschaftliche Interessen. Wenn also Erik der Rote 980 aus Island westwärts bis in unbekanntes Gebiet fährt, dann geschieht das nicht nur, weil er für vogelfrei erklärt wurde, sondern weil er allen etwas beweisen will. Und weil er sich reiche Jagdgründe erhofft, dort wo er hinwill. Und wenn sein Sohn Leif später noch weiter westwärts reist, sind es gleichfalls nachvollziehbare wirtschaftliche Gründe. Im Westen soll es den Erzählungen nach Land geben, das Holz, reiche Böden und Eisen verspricht.

Der Autor hat einige Sagas und die Ergebnisse der derzeitigen Wikinger-Forschung zur Hand, als er seine Arbeit über Erik den Roten beginnt. 40 Sätze lang ist die Saga über Erik und seine Verbündeten. Man denkt, da könne nicht allzuviel zu erfahren sein. Und tatsächlich sind diese 40 Sätze vorerst trockener Stoff. Was der Autor nun tut, ist zugleich faszinierend wie lehrreich. Satz für Satz wird vor unseren Augen aufgedröselt. Was zwischen den Wörtern steht, was ausgelassen wurde, weil es für die Menschen der damaligen Zeit so klar war, dass es gar nicht erwähnt werden musste – dies sind die Stellen, die der Autor mit seinem Wissen sowie seiner Phantasie ausfüllen muss. Danach gilt es, die Hypothesen zu bestätigen oder zu verwerfen, immer mit einem nüchternen, wissenschaftlichen Kontrollblick. 

Es ist dies ein Buch, das ich kaum zur Seite legen mochte. Mindestens so aufregend, wie die Viking-Filme, die Netflix überträgt. Nur ohne die vielen Schlachtszenen und vermutlich auch näher an den tatsächlichen Geschehnissen und damaligen Menschen. Herzlichen Dank Øystein Morten, dass Sie es mir ermöglicht haben, einmal als Wikinger über die Meere und durch die Zeit zu reisen. 

Etwas Schwierigkeiten macht es, sich all die komplizierten nordischen Namen zu merken, doch der Autor ist sich dessen bewusst, und gibt immer mal wieder Hilfe, indem er die Verwandtschafts- und Beziehungsgeflechte erklärt. Im Anhang ist ein Verzeichnis mit Begriffen, die man als Wikinger-Laie vielleicht noch nicht gehört hat und gleichfalls ein seitenlanges Verzeichnis der Quellen, was eigentlich nur zeigt, was man als Leser bald selber merkt: dieser Autor ist so gewissenhaft und recherchemächtig, wie man es von einem Geschichtsforscher nur erwarten kann.

Eine Kritik hätte ich dennoch: der rote Umschlag des Buches wirkt auf mich nicht besonders verlockend mit dem Schriftzug, der wohl an Runen erinnern soll. Wer an Entdecker-Geschichte auch nur ein bisschen interessiert ist sollte es trotzdem kaufen!

Titel: Erik der Rote, der Entdecker Amerikas 

Autor: Øystein Morten, übersetzt von Gabriele Haefs

Verlag:  Kröner Verlag, Stuttgart, 2024

ISBN 978-3-520-62903-6 , SFr. 35.10/ € 30.00