Rezension

Sehr einfühlsames Debüt

Zwei Frauen in Dublin -

Zwei Frauen in Dublin
von Emilie Pine

Bewertet mit 4 Sternen

Ist es das, was du willst, hatte Aidan zu Ruth gesagt, bevor er nach London gefahren ist, und es klang verärgert. In der Pause zwischen zwei Klientinnen versucht sie dahinterzukommen, was sie will. Was sie nicht will, hatte sie ihm klar gesagt, nein geschrien. Angebrüllt hatte sie ihn, weil sie das alles zu lange weggelächelt hatte und dann musste es mit der angemessenen Wucht raus. Wie erniedrigend es jedes Mal war auf dem Patientinnenstuhl zu liegen, die Spritzen, die sie in ihren Unterleib einführten, die hormonellen Schwankungen und die Angst wieder zu versagen. Aidan wirft ihr vor, sie sei egoistisch, es sei doch auch sein werdendes Kind, aber er steht ja nur da und hält ihre Hand, während sie weint. 

Pen geht seit einiger Zeit zur Therapiefrau und es hilft ein bisschen. Sie sagt ihr, dass sie den Leuten nicht ins Gesicht sehen soll. Stattdessen soll sie auf ihre Hände schauen und in sich hineinhorchen, ob sich das positiv, negativ oder sogar neutral anfühlt. 

Pen liebt Textnachrichten, das ist wie reden nur ohne Gesichter. Manchmal, wenn sie in einem Gespräch nicht weiterweiß, wünscht sie sich, sie könnte Schilder mit Emojis hochhalten. S. 36

Wenn Claire, Pens Ma‘ dieses Wort Liebling sagt, dann steckt darin Liebe, die Pen den Raum nimmt, das macht sie wütend.

„Denk nicht zuviel nach“, sagen die Leute oft zu ihr und sehen dabei selbstgefällig aus. S. 54

Für Pen existieren Worte, wie Belastbarkeit nur, damit andere Menschen sich größer fühlen. In Wirklichkeit ist Belastbarkeit eine Schale, die Menschen sich aneignen, damit niemand in sie hineinsehen kann.

Wenn Pen unruhig wird, zählt sie Dinge, Treppen, Haustüren, die Farbe Blau, Dinge, die ihrer Welt Festigkeit verleihen, auch deshalb fühlt sie sich meistens wie ein Freak.

Fazit: Emilie Pine hat in ihrem Debüt zwei gänzlich unterschiedliche Protagonistinnen erschaffen und lässt uns an deren Leben teilhaben. Beide fühlen sich versehrt, beide zweifeln an ihrer Daseinsberechtigung in ihren Leben. Die Autorin geht voller Empathie auf die Suche, nach unseren Bedürfnissen und wie wir es schaffen uns den Menschen, die wir lieben, zu zeigen, wie wir sind und welche Ängste uns daran hindern. Die Themenschwerpunkte des Romans sind Verlust und Angst vor Zurückweisung, sich zerbrochener zu fühlen, als die anderen sind. Das habe ich sehr gerne gelesen, auch weil Emilie Pine Neurodiversität in Form von Autismus thematisiert. Über Autismus in Prosa zu lesen, zu sehen, wie eine andere Betroffene mit ihren Schwierigkeiten umgeht ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Lesenswert!