Rezension

Eine unbeschwerte Idylle in Zeiten des Zweiten Weltkriegs

Und dahinter das Meer -

Und dahinter das Meer
von Laura Spence-Ash

Millie und Reginald Thompson waren sich von Anfang an nicht einig, ob sie ihre Tochter Beatrix 1940 per Schiffsreise aus London in die USA  schicken sollten, um sie vor den absehbaren Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs zu schützen. Bei den Gregorys in Boston und ihren 9- und 13-jährigen Söhnen scheint Beatrix jedoch das große Los gezogen zu haben. Nancy hatte sich vergeblich eine Tochter gewünscht, ihr Mann Ethan,  Mathelehrer an einer Jungenschule, füllt seine Rolle  als Pflegevater erstaunlich perfekt aus und auf die sehr  gegensätzlichen Söhne hat Beatrix offenbar einen positiven Einfluss. Prägend werden für alle Beteiligten die Sommer im Ferienhaus der Gregorys in Maine bleiben, das auf einer kleinen privaten Insel liegt, und die Geburtstagsfeier  im August für alle drei Kinder. In Beatrix Erinnerung konzentriert sich ihr Glück auf Szenen unbeschwerten Schwimmens um die Insel  mit William und Gerald und den Ausblick vom Anleger, ein Glück, dessen Unwiederbringlichkeit die Kinder in dem Moment noch nicht wahrnehmen können.

Die etwas  zu märchenhafte Konstellation (3 Monate unbeschwerte Ferien und Geld scheint keine Rolle zu spielen)  wird jedoch mit dem nahenden Kriegsende  beendet sein, wenn  Beatrix zu ihren leiblichen Eltern zurückkehrt. Hier habe ich mir ausführlich ausgemalt, wie Beatrix ihren Aufenthalt mit einem Stipendium verlängern oder wie eine Beziehung zwischen den  Familien auf zwei Kontinenten weitergehen könnte, die ja mit hohen Reisekosten verbunden sein würde.

William fiebert inzwischen seinem 18. Geburtstag entgegen, an dem er sich endlich zur Armee melden wird, und macht sich bis dahin bei kriegswichtigen Aufgaben nützlich. Beatrix entwickelt sich in Konkurrenz mit den Brüdern rasant, auch wenn ihre Pflegemutter ihr Heranreifen ungern realisiert. Wie wichtig Beatrix für Gerald war, haben vermutlich alle Beteiligten  bis zum Tag des Abschieds verdrängt.  Jahre später lebt Beatrix wieder in London. Ihre Beziehung zu Mutter Millie wird noch immer überschattet von deren Eifersucht auf das sorgenfreie Leben der Gregorys während des Krieges. Beas Kontakt zu den Gregorys scheint nahezu eingeschlafen zu sein, doch die liebevolle Beziehung zu ihrer Wahlfamilie und die märchenhaften Sommer in Maine haben sie geprägt. Was sie während der Kriegsjahre in den USA erlebte,  lässt sich Unbeteiligten kaum erklären, wird sie erkennen.

Laura Spence-Ash beschreibt das Heranwachsen dreier Jugendlicher zwischen 9 und 13 Jahren zurzeit des Zweiten Weltkriegs, die sich ideal zu ergänzen scheinen. Auf mehreren Zeitebenen zwischen 1949 und 1977 und in schnellen Szenenwechseln springt ihr Focus zwischen zunächst  sieben beteiligten Personen hin und her. Die Sprache des hochemotionalen Romans wirkt für seinen ambitionierten Plot durch einfache Sätze sehr schlicht (als richte er sich an Jugendliche);  im ersten Teil zusätzlich verstärkt durch die Präsens-Form. Die Entwicklung der Figuren fand bei mir hauptsächlich als Kopfkino statt von Zeitsprung zu Zeitsprung. Den Zeitverlauf hätte ich mir flüssiger gewünscht und das Verhältnis zwischen Eltern und pubertierenden Kindern realistischer dargestellt. So glaube ich kaum, dass Nancy, die Beatrix anfangs jeden Abend „badete“ sich im Unklaren darüber war, ob ihre Pflegetochter schon menstruierte. Dieses für junge Frauen entscheidende Erlebnis (in einer fremden Umgebung) hat die Autorin schamhaft verdrängt.

Die Entwicklung eines im Krieg evakuierten Mädchens in einer überaus liebevollen Familie habe ich gern gelesen.