Rezension

Was ist die Formel für Freundschaft?

Pi mal Daumen -

Pi mal Daumen
von Alina Bronsky

Bewertet mit 5 Sternen

Oscar ist ein 16-jähriger Überflieger mit Adelstitel, autistischen Zügen und einem imaginären Freund. Er studiert Mathematik und ist am liebsten für sich. Zu viele Menschen auf einem Haufen sowie Lärm und Dreck machen ihn nervös. Als sich ausgerechnet die über 50jährige Moni im Hörsaal neben ihn setzt und er gezwungenermaßen mit ihr eine Lerngruppe bilden muss, findet er das äußerst ärgerlich. Andererseits braucht er für einige Scheine einen Partner, warum also nicht Moni, die seiner Überzeugung nach eh nicht lange durchhalten wird? Nicht nur Moni, auch sein Studium hält manche Überraschung für ihn bereit, mit der er nicht gerechnet hat.

Wundervolle, warmherzige und liebevolle Betrachtung zweier Außenseiter, des Entstehens ihrer ungewöhnlichen Freundschaft und der leisen Warnung, dass man Menschen niemals unterschätzen sollte. Unterschiedlicher als Oscar und Moni kann man kaum sein. Alter, soziale Herkunft, Charakter, alles ist diametral entgegengesetzt, und doch sind sie seelenverwandt. Sehr subtil und zögerlich entsteht diese Freundschaft und lange gehen beide von völlig unterschiedlichen Annahmen aus. In einem haben sie nämlich, ohne es zu wissen, die gleiche Wahrnehmung: dass der andere ohne ihre Hilfe vollkommen verloren wäre.

Das Buch liest sich unglaublich gut herunter, man muss schmunzeln, den Kopf schütteln und will ein ums andere Mal dazwischen gehen. Die Autorin hat einen sehr menschlichen Blick auf ihre Protagonisten und beschreibt ihre Macken mit einem Augenzwinkern, ohne jemals kitschig oder gar verächtlich zu werden. Ohne große Action, aber mit viel Gefühl für Situationskomik erzählt sie das Geschehen aus der Perspektive von Oscar. Viele seiner Äußerungen und Annahmen sagen mehr über ihn aus als über die anderen und als aufmerksamer Leser erkennt man die Ironie dahinter. Oftmals erschließen sich einem die wahren Umstände in Nebensätzen oder zwischen den Zeilen, Oscar hingegen braucht für alles Zwischenmenschliche ein bisschen länger. Aber auch ihm dämmert schließlich, dass Moni nicht die Dumpfbratze ist, für die er sie hält.

Moni habe ich von der ersten Sekunde an geliebt. Sie ist Familienmensch, warmherzig, hilfsbereit, auffällig ohne es zu wollen, mit mehreren Jobs, drei Enkeln und überforderter Tochter, eine Macherin, immer da, wenn man sie braucht. Dabei klug, völlig unterschätzt von ihrem Umfeld und klein gehalten von ihrem sogenannten Lebensgefährten. Ganz vorurteilsfrei ist Moni aber auch nicht, denn sie hält Oscar allein nicht für überlebensfähig. Sie behandelt ihn wie einen zugelaufenen Welpen, während er sich fragt, was eine wie sie in einem Hörsaal zu suchen hat. Beide werden eines Besseren belehrt und für sie spricht, dass sie im Laufe der Geschichte ihre Meinung voneinander überdenken und sich in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln. Aber auch die anderen Figuren haben gut herausgearbeitete Charaktereigenschaften und der eine oder andere war auch für Überraschungen gut, wie etwa Professor Herbst oder Monis Vater.

Das Hardcover Exemplar kommt im Übrigen schön gebunden mit Einband und Lesezeichen daher. Der Eindruck, dass es komplett Oscars Werk ist, wird dadurch verstärkt, dass der von ihm gezeichnete Stammbaum von Monis Familie vorne und hinten abgedruckt ist und es mehrere Fußnoten mit seinen vermeintlichen Kommentaren gibt. Und ja, es geht auch um Mathe.

Fazit: Sehr kurzweilig, humorvoll und einfach wunderschön ist es zu lesen, wie sich diese beiden so unterschiedlichen Menschen aneinander annähern und zu Freunden werden. Ein bisschen Mathe-Affinität ist von Vorteil, aber nicht zwingend vonnöten. Und ein Familiengeheimnis von Moni wird auch noch aufgedeckt, so ein bisschen wenigstens. Ansonsten für all diejenigen bestens geeignet, die schöne Geschichten mit charaktervollen Figuren lieben und mit ihnen mitleben können.