Rezension

Toxische Mütter ermatten im Tanz um das goldene Kalb

Die Perserinnen -

Die Perserinnen
von Sanam Mahloudji

Willkommen im Toxischen Matriarchat. Der Fall und Zerfall einer Familie persischen Geldadels aus ausschließlich weiblicher Sicht.

Meine schwierige Aufgabe besteht darin, Ihnen den Roman „Die Perserinnen“ von Sanam Mahloudji schmackhaft zu machen, denn er ist lesenswert, ohne sie gleichzeitig abzuschrecken, denn er hat seine Schwächen.

„Die Woche war eine einzige Cartoon- und Drogenparty gewesen, bis vor einer Stunde, als ich meine Tante Shirin gegen Kaution aus dem Gefängnis von Aspen holen musste, wo sie wegen versuchter Prostitution festgehalten wurde“

So beginnt der Roman und dies ist die umgreifende Klammer in der Ist-Zeit im Jahr 2009. Ich kann Ihnen aber schon verraten, die Autorin schildert uns am Ende des Buches zwar noch den Prozeß, den Richterspruch allerdings enthält sie uns vor und überlässt Shirins letztendliches Schicksal der Phantasie der Lesenden.

Um diesem Buch gerecht zu werden, sollte man es nicht vom Ende her rezensieren und so beziehe ich mich nachfolgend zunächst nur auf den ersten von drei Teilen, , also auf die ersten 110 Seiten, dieses Romans:

Die Iranerin SHIRIN Valiat verläßt mit ihrem Mann HOUMAN, ihrem Sohn MOHAMMED, ihrem Bruder NADER, sowie ihrer Schwester SIMA und deren Säugling BITA in den Revolutionswirren 1978 in letzter Minute den Iran in Richtung USA. Ihre sechsjährige Tochter NIAZ läßt sie, mehr ungewollt, als gewollt, bei ihrer Mutter ELIZABETH, der Großmutter der kleinen Niaz, zurück, ging man doch davon aus, daß man bald zurückkehrt, sobald sich die Lage im Heimatland wieder beruhigt hat. Zur Sicherheit hat jede der Exilantinnen etliche Millionen auf Schweizer Konten gebunkert und noch eine Handvoll Diamanten im Gepäck.

Nun aber schreiben wir bereits das Jahr 2009, Shirin ist mittlerweile 54 Jahre alt und wird im US-amerikanischen Nobelskiort Aspen der Anbahnung zur Prostitution verdächtigt.  In 25 sich abwechselnden Kapiteln kommen nun Elizabeth, Shirin, Bita, Niaz und Sima zu Wort und schildern Kindheit, Jugend, Ist-Zeit und die Familienverhältnisse aus ihrer Sicht.

Abgestoßen hat mich weniger die teils explizite Sprache, sondern vielmehr die  Dekadenz und die verstörende Empathie- und Lieblosigkeit, die bei den Frauen dieser Familie vorherrscht. Der grenzenlose Dünkel dieser Familie, die unter dem Schah zu den reichsten Irans gehörte, beruht nicht nur auf ihrem jahrhundertealten Reichtum, sondern auch auf ihrer Abstammung von einem großen persischen Kriegshelden. In der Diaspora allerdings wird hemmungslos gekokst, gesoffen, fremdgegangen, das Geld verschleudert und das Gastland Amerika und die Amerikaner zutiefst verachtet. Es schockierte mich, mit welcher Selbstverständlichkeit sich Shirin vor ihrem Sohn Mohammed, der mittlerweile auch schon Mitte 30 ist, nackt auszieht und von diesem ihren noch sehr gut erhaltenen Körper bewundern läßt, um dann den Augenblick seiner Geburt zu schildern:  „..Eines Tages bin ich aufs Klo, um zu kacken, und zack, da warst du.“  

Diesen Frauen geht es in einer derart penetranten Art und Weise ausschließlich um das Aussehen und Äußerlichkeiten, daß nichts anderes mehr Thema ist. Ohne jeglichen Esprit, Geist oder Gefühl, von Mitgefühl ganz zu schweigen. Lesende werden gequält mit ständigen Beschreibungen des Aussehens, der Gesichtsgestaltung, Kosmetik, Kleidung, Accessoires, Schmuck, Modemarken etc. Natürlich, man kann als Autorin die ständige Beschäftigung der Protagonistinnen mit der Oberfläche des Körpers auch als Metapher für die Oberflächlichkeit ihres Wesens verwenden, doch die Intensität, mit der dies hier betrieben wird, deutet für mich darauf hin, daß es die Autorin nicht schafft, die nötige Distanz zu ihren Figuren einzulegen, was die Begeisterung für Äußerlichkeiten anbelangt. Die Männer werden in diesem Roman fast durchgehend als Witzfiguren dargestellt, Karikaturen ihrer selbst, meist tumbe übergroße Playmobil-Männchen und kaum der Erwähnung wert. Willkommen im Matriarchat der schlechten Art.

Selten hat mich Gelesenes so wenig berührt. Die Autorin ist teilweise sehr um Metaphern bemüht, die aber sehr gewollt und seltsam substanzlos ins Leere laufen, nur wenige treffen ins Schwarze. Überwiegend werden kurze Sätze oder Fragen bezugslos hintereinander gereiht. Ich befürchtete schon, daß sich sowohl der anspruchslose Schreibstil, als auch der belanglose Inhalt über die nächsten gut 300 Seiten von Teil II und Teil III fortsetzten.

Mir kam schon der Gedanke, ob die Autorin womöglich von den iranischen Mullahs bezahlt wurde, um die Kaste des Geldadels unter dem Schah Regime im schlechtest möglichen Licht erscheinen zu lassen. Dieser Abschnitt wäre auch durchaus geeignet, Fremdenhass auf die Orientalen zu schüren oder entstehen zu lassen.

Wir Menschen gewöhnen uns ja erstaunlich schnell an einen Umstand und so kann ich nun nicht mit Sicherheit sagen, ob es darauf zurückzuführen ist oder ob nun im II. und III. Abschnitt tatsächlich der Stil des Buches anspruchsvoller geworden ist.

Auch im II. Teil wird wieder in den Zeiten hin und hergesprungen, was dem Roman aber in keinster Weise Abbruch tut. Diese sich abwechselnden Kapitel aus verschiedener Sicht lesen sich sehr gut. Alle weiblichen Mitglieder der Familie erzählen in der Ich-Form, lediglich in den Kapiteln über Elisabeth weicht die Autorin davon ab. Warum, erschließt sich mir nicht.  Obwohl  dramatische und ihrem Wesen nach herzzerreißende Geschehnisse geschildert werden, bleibe ich von diesen auch im Rest des Buches seltsam unberührt.

Gegen Ende dieses II. Teils hält die Autorin für die Lesenden aber noch einen absoluten Knaller bereit, diesen werde ich aber nicht einmal andeuten, nur so viel sei verraten, es geht um familiäre Verhältnisse, es platzt quasi die Bombe.

Im III. Teil kommt dann die ganze Familie in der Ist-Zeit, etwa im Jahre 2009, in Amerika zusammen, um Shirin bei ihrem Prozeß zu unterstützen: Oma Elisabeth kommt aus Iran angeflogen mit der mittlerweile 30-jährigen Enkelin Niaz, die Shirin’s Tochter ist. Bita, die Tochter der im Jahre 2006 verstorbenen Sima, die Elisabeths zweite Tochter war.  Und, was für eine blöde Frage, selbstverständlich sind keine männlichen Familienmitglieder anwesend. Es gibt noch einen Sohn von Elisabeth, NADER, also den Bruder von Shirin und der verstorbenen Sima, der mit ihnen in die USA gekommen ist. Dieser lebt irgendwo im Süden der USA ein einfaches Leben als Monteur von Klimaanlagen. Ich vermute, daß das Vermögen der Familie sich ausschließlich auf den Konten der weiblichen Mitglieder befindet. Genauer erläutert wird das von der Autorin aber nicht. Allgemein bemerke ich bei zeitgenössischen Belletristen eine zunehmende Vorliebe für die Lücke und eine Neigung dazu, Fragen aufzuwerfen, aber diese unbeantwortet zu lassen. Stilmittel die, dezent eingesetzt, durchaus ihre Berechtigung haben, in Masse auftretend aber lediglich der  Bequemlichkeit der Autorinnen und Autoren geschuldet zu sein scheinen.  Wurde mir doch tatsächlich erst jüngst von einem deutschen Autor empfohlen, die kommentarlos fehlenden zwei Jahrzehnte im Roman mit meiner eigenen Phantasie auszufüllen, sofern ich darüber verfüge. Wir können also durchaus damit rechnen, daß wir in Bälde im Restaurant die von uns bestellten Speisen selbst aus der Küche zu unserem Tisch tragen oder, falls wir zu den letzten Gästen gehören, nach dem Bezahlen noch schnell durchwischen müssen.

Shirin, die Hauptfigur, ist das perfekte Stereotyp der reichen, verwöhnten, arroganten, geist- und empathielosen Orientalin. Natürlich gibt es diese auch in der US-amerikanischen und europäischen Ausführung, dann eher in blond, doch zu finden sind sie alle an ähnlichen Orten wie Aspen, St. Moritz, Gstaad, St. Tropez, Acapulco oder auf Sylt. Würde man ihnen ihr Geld nehmen, hätte man vermutlich stinknormale Proleten vor sich. Umgekehrt funktioniert das natürlich auch.

Die Kapitel in denen NIAZ aus Iran berichtet oder SIMA aus dem Jenseits, zeugen von mehr Tiefe und Reflexion. Doch emotional berührt oder mit Erkenntnissen in Erstaunen versetzt wurde ich in diesem Roman nur an ganz wenigen Stellen.

Doch, eine Stelle hat mich zutiefst berührt, und zwar, als Elisabeth ihrer Enkelin Niaz gesteht, daß deren Mutter Shirin sie sehr wohl mit in die USA nehmen wollte. Ich wünschte die Autorin hätte auch an anderer Stelle des Romans mit derartiger Verve erzählt.  

Gerade die Szenen und Beschreibungen des teils grotesken Verhaltens der Exilantinnen in der Diaspora hätte der Autorin breiten Raum geboten, die Lesenden wenigstens zum Lachen zu bringen. Hier hat die Autorin eindeutig eine Chance vertan. Die Finger meiner beiden Hände reichen leider aus, um die Stellen aufzuzählen, an denen ich spontan lachen mußte.

Was mich anbelangt, so kann und werde ich mich nicht dem derzeitigen Trend anschließen, eine Frau die sich verhält wie ein Mann, den jeder aufgrund seines Verhaltens als Arsch bezeichnen würde, als „Starke Frau“ zu bezeichnen.

Interessante Einblicke in das Alltagsleben in Iran unter dem totalitären Mullah-Regime erhalten wir, wenn in einem Kapitel Niaz, die bei der Oma geblieben ist, zu Wort kommt. Mich wunderte z.B., daß Elizabeth Valiat immer noch Eigentümerin riesiger Ländereien in Iran ist und diese nicht schon längst vom Regime dem Volk übertragen wurden. Die Antwort liegt darin, daß sich nur so der einzelne Funktionär des Regimes, unter Vorwand einer fadenscheinigen Anklage, bereichern kann.

Ich hätte mir als Leser noch mehr Einblicke in die Lebenswelt der Menschen unter dem Terrorregime der Mullahs gewünscht, aber ich denke, daß auch die Autorin sicher noch Familie in Iran hat und es daher lieber nicht auf die Spitze treiben wollte.

Eine Sternebewertung fällt mir bei diesem Roman besonders schwer. Genau genommen glaubte ich  beim Lesen eine Adventsbeleuchtung neben mir zu haben, die abwechselnd ein bis vier von fünf Sternen aufblinken ließ.

Ich komme zu keinem Schluß, ob die mangelnde emotionale Tiefe und relative Humorfreiheit von der Autorin bewußt so gestaltet wurde oder ob sie es schlichtweg nicht besser kann. Der nächste Roman von Sanam Mahloudji wird mir hoffentlich in diesem Punkt Klarheit verschaffen. Gemäß dem Grundsatz „In dubio pro reo“ bleibt mir also nichts anderes übrig, als 4 Sterne zu vergeben, obwohl es gefühlt eigentlich nur dreieinhalb sind.

Das Cover ist sehr schön gestaltet in gemalter Weise, wie ich es liebe. Im Klappentext einen Rechtschreibfehler zu übersehen ist eigentlich eines großen Verlages wie Piper nicht würdig. Auch der Text beschenkt uns mit einigen Rechtschreibfehlern, die ihrem Wesen nach von keiner noch so intelligenten KI entdeckt werden können. Hier sollten Verlage vielleicht doch wieder dazu übergehen, ein wenig Geld in die Hand zu nehmen, um ein Buch vor der letztendlichen Drucklegung noch einmal von einem befähigten Menschen durchlesen zu lassen.

Ich empfehle Ihnen, diesen Roman trotz eventuell auftretender innerer Widerstände zu Ende zu lesen und sich diesen dann ein zweites Mal vorzunehmen oder sich die Kapitel einzeln zu Gemüte zu führen. Davon, dieses Buch zu verschenken, ohne den Inhalt zu kennen, würde ich allerdings abraten, denn das Wort „Kacke“ wird inflationär gebraucht. Ich vermute allerdings, daß dies auf einem kulturellen Missverständnis beruht. Im Orient ist der Sprachgebrauch ein sehr blumiger und so finden Körperausscheidungen bei Flüchen, Beschimpfungen oder wenn man einer Aussage eine besondere Intensität verleihen will, mannigfaltige Anwendung. Diese eins zu eins ins Deutsche zu übersetzen wäre aber unangebracht. Doch ist dies in diesem Roman offensichtlich geschehen.