Rezension

Schön geschriebener Wohlfühlroman mit erzählerischen Schwächen

Und dahinter das Meer -

Und dahinter das Meer
von Laura Spence-Ash

Bewertet mit 2.5 Sternen

London 1940: die elfjährige Beatrix und ihre Eltern fürchten sich vor den immer mehr werdenden Bombenangriffen in der Stadt. Deshalb wird beschlossen, dass ihre Tochter in die USA verschickt wird, um dort in Sicherheit das Ende des Krieges abzuwarten. Das Mädchen landet bei den Gregorys, einer mittelständischen Familie mit zwei Söhnen, die sie herzlich aufnimmt. Sie verbringt fünf Jahre bei ihnen und die Zeit prägt sie nachhaltig. Zurück in London wird der Kontakt zu und die Berührungspunkte mit ihrer amerikanischen Gastfamilie immer weniger, doch das Schicksal wird sie wieder zusammenbringen...

Der Debutroman von Laura Spence-Ash verspricht eine wohlige Familiengeschichte zwischen England und den USA. Über einen Zeitraum von 37 Jahren lernen wir die verschiedenen Protagonist:innen kennen - neben Beatrix spielen die beiden Gastfamilienbrüder William und Gerald eine wesentliche Rolle, aber auch die Eltern beider Familien sowie in späterer Folge auch die Ehefrau von William. In kurzen Erzählepisoden werden Ereignisse aus der Sicht der verschiedenen Charaktere geschildert, was angenehm und abwechslungsreich zu lesen ist. Die Sprache der Autorin gefällt mir wirklich gut, sie ist kurzweilig mit einem Hauch Melancholie und sie weiß starke Bilder zu erzeugen - besonders gelungen finde ich hier die geschaffene Atmosphäre auf der Sommerinsel in Maine, wo die Familie Gregory regelmäßig ihre Sommerferien verbringt. Ihr literarisches Talent beweist sie immer wieder durch wunderbare stilistische Kniffe, sei es sprachlich oder handwerklich gut gemachte Doppelungen und wiederkehrende Motive, wie beispielsweise das Meer.

Soviel zum Positiven. Leider hat mich der Roman aber enttäuscht. Das Thema, das Setting und der Buchtitel klangen für mich sehr interessant und ansprechend, aber bedauerlicherweise nervte mich das Erzählte über weite Strecken. Das hat vielerlei Gründe. Die Geschichte wird chronologisch erzählt, was ja grundsätzlich nichts schlechtes ist. Da der Roman aber nur 364 Seiten hat, können die 37 Jahre dementsprechend nur sehr peripher abgedeckt werden. Wie das die Autorin macht, hat mir so gar nicht gefallen. Die Zeitsprünge sind vollkommen willkürlich, oft werden den Leser:innen bevorstehende Ereignisse angekündigt, aber dann werden diese - häufig für den Fortgang der Geschichte wesentlichen - Vorkommnisse dann nur in ein oder zwei Sätzen im Rückblick nacherzählt. Zudem werden oft Themen angeschnitten, die dann einfach wieder fallen gelassen werden - man wartet vergebens darauf, eine Erklärung oder eine Auflösung für Geschildertes zu erhalten. Weiters sind gewisse Aussagen über den Handlungsverlauf oder die Charaktere widersprüchlich oder inkonsequent, was vermutlich mit einem akkuraterem Lektorat vermieden hätte werden können.

Schade finde ich auch, dass die Figuren für mich allesamt schwer zu greifen sind, da sie nur sehr oberflächlich beschrieben werden und es meist ausgelassen wurde, Schlüsselszenen direkt zu beschreiben (diese werden, wie oben bereits erwähnt, oft nur kurz im Nachhinein geschildert). Außerdem vollziehen die Personen des Öfteren überraschende und nicht näher erläuterte Charakterwandlungen, die größtenteils unglaubwürdig sind. Besonders zwei Charaktere, nämlich Beatrix Mutter Millie als auch Williams Frau Rose sind sehr schwarz-weiß gezeichnet, doch zum Wohle des harmonischen Ausgangs der Geschichte, vollziehen sie einen plötzlichen Sinneswandel, der aber auch nicht näher begründet wird. Oft blieb ich ratlos ob der unerklärten Handlungen einzelner Figuren zurück. Augenscheinlich ist auch, dass wirklich alle Protagonist:innen sehr in der Vergangenheit verhaftet sind und die "gute alte Zeit" (in diesem Fall wohl die fünf Jahre, die Beatrix bei den Gregorys in den USA verbrachte) zurück sehnen. Interessant wäre es vielleicht, das Buch mit dem englischen Original zu vergleichen in der Hoffnung, dass einige immer wiederkehrende und beinahe lustlos wirkende Wortwiederholungen (z.B. "schön" oder "bezaubernd") ein wenig "lost in translation" sind. Das Happy End stört mich nicht so sehr, auch wenn es durchaus vorhersehbar war.

Mein Fazit: "Und dahinter das Meer" ist ein sprachlich schön formulierter Roman, der etliche erzählerische Schwächen aufweist. Wer eine dahinplätschernde Wohlfühlgeschichte mag und sich nicht daran stört, dass die Stringenz zu wünschen übrig lässt, ist hier gut aufgehoben. Meinen Geschmack konnte das Buch leider nicht treffen.