Rezension

Starke erste Hälfte

Furchen und Dellen -

Furchen und Dellen
von Ela Meyer

Bewertet mit 3.5 Sternen

Meyer schreibt fluffig und leicht, hat dabei aber erheblich Tiefgang, sie findet berührende Bilder und Situationen, ihr gelingt selbst in schwierigen Passagen eine Heiterkeit und Emotionalität, die mich im vorderen Teil des Buches absolut für sie eingenommen hat und dazu führte, dass ich mir direkt den Vorgängerroman „Es war schon immer ziemlich kalt“ besorgt habe, denn ihr Schreiben ist auf jeden Fall eine Entdeckung.

„Furchen und Dellen“, der zweite Roman von Ela Meyer, erschienen 2024 im Goya Verlag, hat mich über weite Strecken sehr berührt und ist ein Buch, das sich mit viel Mut traut, über eine Protagonistin mittleren Alters in den Wechseljahren (durchaus auch im übertragenen Sinne) zu schreiben – und dabei viele wichtige Fragen an unsere Rollen- und Familienbilder zu stellen. Gerade in der ersten Hälfte des Buches gelingt dieses Meyer mit ungeheurer Leichtigkeit, die ihr dann leider in der zweiten Hälfte etwas abhandenkommt und zunehmend von ihrem – sehr berechtigten – Anliegen verdrängt wird.

Zur Story: Chris, die vor sechs Jahren fluchtartig ihr altes Leben und ihre Heimat verlassen hat, weil in ihrer WG auf einmal der Plan aufkam, zu viert die Elternschaft für ein Kind anzutreten, ein Plan, der ohne Chris gemacht wurde und der bei ihr nicht auf Gegenliebe stieß, weil sie sich nicht mit einem Kind ihr Leben leben sah, diese Chris also, kehrt nun in ihre Heimat zurück, weil ihr Großvater, in dessen Haus sie aufgewachsen ist mit ihrem Bruder und ihrer Mutter, im Sterben liegt. Diese Rückkehr in so vieles gleichzeitig, in ihre Kindheit, in ihre Kernfamilie, zu ihrer alten WG, zu ihren Träumen und ihrer Jugend, konfrontiert Chris mit mindestens ebenso vielen Themen, die unbearbeitet in ihrem Inneren liegen, ähnlich wie die vielen Kisten des Hauses, das nun ausgeräumt werden muss. Vorsichtig und oft taumelnd wühlt sie sich nicht nur durch die Stockwerke des Hauses, sondern auch durch all das Weggeschobene ihres bisherigen Lebens – und muss sich dabei auch immer mehr dem Thema stellen, dass sie nicht mehr zwanzig ist und ihr Leben vielleicht in eine neue Phase übergeht.

Meyer schreibt fluffig und leicht, hat dabei aber erheblich Tiefgang, sie findet berührende Bilder und Situationen, ihr gelingt selbst in schwierigen Passagen eine Heiterkeit und Emotionalität, die mich im vorderen Teil des Buches absolut für sie eingenommen hat und dazu führte, dass ich mir direkt den Vorgängerroman „Es war schon immer ziemlich kalt“ besorgt habe, denn ihr Schreiben ist auf jeden Fall eine Entdeckung. Und, ganz großes Lob, Ela Meyer nutzt durchgehend und ganz selbstverständlich gendersensible Sprache und bettet Queerness als ganz simpel vorhandener Teil unserer Realität ganz wundervoll in den Roman ein. Je weiter dieser voranschreitet, desto mehr Themen werden aber in die Handlung gepfercht und desto ausgesprochener und teilweise fast schon referatartig werden diese Themen verhandelt, so dass ich zunehmend das Gefühl hatte, das jetzt das Anliegen die Handlung dominiert. Die so gelungene Symbiose des ersten Teils kann leider nicht mehr aufrechterhalten werden. Dabei verliert sie auch Figuren auf den Weg, die sehr interessant sind und über die ich als lesende Person gerne mehr erfahren würde. Gerade Chris Beziehung zu ihrer Mutter bekommt leider kaum Raum, ist aber spürbar wichtig für Chris Leben. Obendrein entwickeln sich die Figuren doch sehr rasant. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, am Ende fehlte Zeit zum Fertigschreiben oder eine Seitenzahl sollte nicht überschritten werden, was für mich dem Roman nicht guttut. Da fehlt etwas. Meyer entscheidet sich auch für ein offenes Ende. Ich habe gar nichts gegen offene Enden, aber dieses verliert sich für mich doch etwas im Nirgendwo.

Und ohne spoilern zu werden, ist es in einem Roman, der so stark feministisch beginnt, wirklich problematisch, wenn sich am Ende ein Bild herstellt, das doch wieder sagt, dass eine weiblich gelesene Person schon den Kontakt zu Kindern benötigt, um wirklich bei sich anzukommen. Schade, denn die erste Hälfte des Buches fand ich richtig stark. 

Was durchweg trägt ist Ela Meyers sicheres Gespür für Dialoge, sanfte Komik und Figurengestaltung, ihre Fähigkeit, Menschen glaubwürdig zu portraitieren und mich großer Leichtigkeit durch die Handlung zu schreiten. Für den ersten Teil hätte ich 5 Sterne vergeben. Zusammen mit den zweiten Teil muss ich mich leider bei 3 bis 3, 5 einpegeln. Und dennoch eine klare Leseempfehlung aussprechen, denn: Mit einer starken ersten Halbzeit kann mensch durchaus Weltmeister:in werden.