Rezension

Identität, Sprache und Fremdheit vor dem Hintergrund der Teilung der Tschechoslowakei

Samtene Scheidung -

Samtene Scheidung
von Jana Karšaiová

Bewertet mit 4 Sternen

Nur wenige Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus erleben die Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei 1993 erneut ein weiteres historisches, einschneidendes Ereignis, dass ihre Lebensrealität abermals entscheidend verändern soll: die Samtene Scheidung - die Trennung von Tschechien und der Slowakei. Jana Karšaiová gibt in ihrem gleichnamigen Roman einen Einblick darin, was dies für die Lebensrealität der Menschen bedeutet hat. 

Im Mittelpunkt des Romans steht Katarina, stammend aus Bratislava, in einer Beziehung mit dem Tschechen Eugen, aus wohlhabender Familie, gemeinsam leben sie in Prag. Bis Eugen für Katarina völlig unvorbereitet eine Auszeit nimmt. Diese reist daraufhin zu Weihnachten allein zu ihrer Familie nach Bratislava, muss sich unangenehmen Fragen zu ihrer Ehe stellen, beginnt jedoch auch sich mit ihrer Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen, die eng mit den Herausforderungen des Landes und der Region, sowie deren Folgen für die Menschen, die in ihnen leben verbunden sind. 

An Katarina, ihrer Familie, wie auch ihren Freund*innen, wird deutlich wie komplex und prägend die historische Situation war und ist und was dies mit Menschen und Familien macht. Nationale Vorbehalte von Außen, Korruption im Inneren, wachsende Perspektivlosigkeit, die die einen in Alkohol wie weiteren Drogen zu erdrücken versuchen und der die anderen durch Migration entfliehen, und dazu die Konsequenzen des einen wie des anderen für die Familien, zerrissen, zerrüttet durch Trennung, Stress und Sucht. 

Die Beziehung zwischen der Slowakin Katarina und dem Tschechen Eugen nimmt dabei eine zentrale Rolle im Roman ein, indem in ihr strukturelle Unterschiede, Vorurteile, Verständigung, ihre Herausforderungen und Grenzen zwischen den beiden ehemaligen Landesteilen der Tschechoslowakei verhandelt werden, gleichzeitig jedoch auch der Vergleich des früheren kommunistischen Staates mit der aktuellen Situation. Vorurteile gegenüber Slowakinnen gibt es jedoch nicht nur in der Tschechischen Republik, sondern auch im restlichen Europa, oder den USA, wohin es, gerade junge Menschen angesichts der Perspektivlosigkeit im eigenen Land zieht, im Buch Katarinas Freundin Viera nach Italien, ihre eigene Schwester Dora in die USA. 

Sensibel verhandelt die Autorin so die Themen (nationaler) Identität, Sprache und Fremdheit aber auch die Sehnsucht danach und schwierige Aufgabe sich selbst in diesem komplexen Geflecht zu finden und glücklich zu werden. 

Es ist für mich der erste Roman, der sich mit der Region und ihrer Geschichte auseinandersetzt und für diese authentische Perspektive kann ich der Autorin und dem Verlag nicht genug danken. Trotzdem konnte mich der Roman nicht 100% fesseln, und ich bin unsicher, woran das konkret lag. Viele Beschreibungen der Region und Stadt Bratislavas wie auch Prags waren mir unbekannt, auch einige Wörter. Die Kapitel sind relativ kurz, sodass sich für mich keine echte Dynamik in der Erzählung und Tiefe in den Charakteren entwickeln konnte. 

Insgesamt war für mich Samtene Scheidung jedoch ein wichtiges und sehr lesenswertes Buch, weil es die besondere Situation in der ehemaligen Tschechoslowakei verdeutlicht und vor diesem historischen Hintergrund gelungen und klug die Fragen nach Identität und Neuanfang im Spannungsfeld zwischen Geschichte, Sprache, Sehnsucht und Fremdheit behandelt. Die Bücher des Nonsolo Verlags sind für mich mittlerweile ein Versprechen für hochwertige Literatur, die nachhallt.