Rezension

Das Buch der Kinder – Antonia S. Byatt

Das Buch der Kinder - Antonia S. Byatt

Das Buch der Kinder
von Antonia S. Byatt

England im ausgehenden 19. Jahrhundert – die Zeit sozialer Reformen, anarchistischer Strömungen, aufkommender sexueller Freizügigkeit und nicht zuletzt die Zeit der beginnenden Frauenbewegung.

Das ist der Schauplatz für diesen opulenten Roman, an dessen Beginn sich eine Reihe von Künstlern und Freigeistern bei einem Mittsommerfest der Familie Wellwood in Kent zusammenfinden – ein Abend der für alle Beteiligten existentielle Veränderungen mit sich bringt.

Da sind die Gastgeber Olive und Humphry Wellwood mit ihren 7 Kindern, die sich zunächst noch etwas weltfremd in der von Olive als begnadeter Erzählerin erfundenen Märchenwelt bewegen. Da ist weiter der idealistische verwitwete Museumskurator Prosper Cain, der die Zeichen der Zeit gut erkennt und die Geschicke seiner beiden Kinder sowie auch anderer Protagonisten vorausschauend lenkt, sowie der geniale, völlig verarmte Künstler Fludd, der den mittellosen, aber ebenfalls hochbegabten Töpfer Philip bei sich aufnimmt.

Um diese und viele andere Figuren ranken sich verbindungsreiche Geschichten, die im wesentlichen die Lebensläufe vor allem der jungen Generation zum Inhalt haben, die, sich der Aufbruchsstimmung der Zeit bewusst werdend, plötzlich ganz neue Wege beschreiten können.
Ebenso wie die Mädchen erfahren, dass sie ehemals männliche Domänen wie den Arztberuf durchaus ergreifen können, lernen die Kinder erstmals, sich mit ihrer eigenen Sexualität auseinanderzusetzen und sogar das Tabu der Homosexualität zu brechen. Einer der Höhepunkte der Handlung ist die Beschreibung der Eindrücke der Protagonisten anlässlich eines Besuches der Pariser Weltausstellung, worin sich alle Strömungen der Zeit bündeln.

„Das Buch der Kinder“ ist Entwicklungs- und Künstlerroman – zugleich mit vielen Anleihen aus der englischen Literatur von Shakespeare über Jane Austen bis hin zu Charles Dickens, wobei auch die deutsche Übersetzung (Melanie Walz) von der sprachlichen Kenntnis dieser Autoren zeugt und die Lektüre der 900 Seiten verschwenderisch üppiger Sprache zu einem absoluten Erlebnis macht.