Rezension

Faszinierende, vielschichtige Geschichte mit tollen Charakteren!

Aethermagie - Susanne Gerdom

Aethermagie
von Susanne Gerdom

Ein Blick auf den Titel und das Cover, dann ist schon sonnenklar: wir haben es hier mit einem Steampunk-Roman zu tun! Da hüpft mein Leserherz vor Freude, denn das Genre bietet ein unglaubliches Potential für Spannung, interessante Charaktere, mysteriöse Geschehnisse und dunkle Geheimnisse.

Susanne Gerdom zieht in Aethermagie virtuos alle Register und nutzt meiner Meinung nach dieses Potential voll aus! Und dabei verpasst sie dem Genre ihre ganz eigene Handschrift und überspringt auch schon mal Genregrenzen. Das Buch las sich von vorne bis hinten originell und thematisch unverbraucht; es passiert immer wieder etwas Neues, Überraschendes, nichts ist vorhersehbar. Volle Punktzahl für Originalität!

Auch die Spannung baut sich schnell auf und flaut dann höchstens mal für einzelne Szenen kurzfristig ab, um sich dann umso rascher in die Höhe zu schrauben. Die Menschen befinden sich mitten in einem Krieg gegen die Engel, und ein im Verborgen wirkender Geheimorden will den Frieden wiederherstellen - und die Gefährten der Engel von der Versklavung durch die Menschen befreien. Denn bei diesen handelt es sich um friedliche, wehrlose Geschöpfe, die unter Schmerzen ihr Dasein in Käfigen fristen müssen, und nur die Sensitiven können dem ein Ende bereiten. Im Geheimen arbeiten andere, kriegstreibende Gruppierungen an einer Geheimwaffe, und in einer Irrenanstalt geht weit mehr vor sich als die Heilung der Patienten... Jedes dieser Themen alleine hätte schon genug Potential für ein spannendes Buch geboten, und hier ergeben sie eine interessante Mischung und intelligente Unterhaltung.

Die junge Kato ahnt am Anfang noch nicht, dass sie bald mitten hinein geraten wird in einen Malstrom aus politischen Intrigen, dunklen Geheimnissen und Lebensgefahr. Zum Einen, weil sie die Aetherwesen sehen kann - und zum Anderen, weil ihr Vater zunehmen den Verstand zu verlieren scheint... Kato war mir sehr sympathisch, denn sie ist mutig, mitfühlend, entschlossen, intelligent und denkt außerhalb der engen Grenzen gesellschaftlicher Konventionen. Ein Hurra auf starke weibliche Charaktere!

Aus dem Klappentext geht allerdings nicht deutlich hervor, dass Kato nur in Teilen der Handlung im Mittelpunkt steht; in anderen stehen ebenso wichtige Charaktere im Rampenlicht, wie z.B. Katalin "Katya" Nagy, Spionin der Kaiserin und Leiterin des Sicherheitsbureaus, die es oft zwischen Pflichterfüllung und persönlichen Gefühlen fast zerreisst. Oder ihr Geliebter "Shenja" Jewgenij Danilowitsch, den sie auf eine beinahe aussichtlose Mission schicken muss: unter falscher Identität wird er in die Irrenanstalt eingeschleust und erfährt am eigenen Leib, wie Insassen skrupellos gefoltert und Experimenten unterworfen werden... Und wie schwer es ist, dabei den Verstand nicht zu verlieren. Mit diesen beiden habe ich immer wieder mitgelitten und mitgefiebert.

Auch die zahlreichen anderen Charaktere sind gut und lebendig geschrieben, dreidimensional und glaubhaft, und dabei alles andere als durchschnittlich. Von der aufmüpfigen Prinzessin über den scheinbar ganz normalen Ladenbesitzer, der ganz im Verborgenen über Raum und Zeit gebietet, bis zum zwiespältigen Irrenarzt, bei dem man nie so genau weiß - was ist er nun? Im Grunde gutmeinend aber fehlgeleitet? Oder einfach ein skrupelloser Sadist?

Am Anfang hatte ich manchmal ein paar Probleme, mit den vielen Namen zurechtzukommen und mir zu merken, wer wer ist, aber das gab sich schnell. Wenn man einmal in der Geschichte drin ist, kommt es einem so vor, als würde man die Charaktere schon ewig kennen! Und so nach und nach verbinden sich die vielen Handlungsstränge auch immer mehr, und man stellt fest, dass manche Charaktere in allen davon eine Rolle spielen. Man sollte sich schnell von dem Gedanken verabschieden, dass wichtigen Charakteren nichts Schlimmes passieren kann... Die Autorin bringt Handlungsstränge konsequent zu ihrem logischen Schluss.

Die typische kitschige Lovestory gibt es hier nicht. Ja, es wird anfangs erwähnt, dass Kato sich in einen jungen Mann verguckt hat, der für ihre Stiefmutter keine zufriedenstellende Partie ist, aber das spielt fast keine Rolle mehr im Rest des Buches. Das einzige Liebespaar, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an das Buch denke, sind Katya und Shenja, und auch da sucht man Kitsch vergeblich, denn ihre Geschichte ist eine bittersüße und hat mich manchmal fast zum Weinen gebracht.

Den Schreibstil fand ich großartig. Meisterhaft wird hier Atmosphäre aufgebaut, und die Welt präsentiert sich dem Leser in mal bunten, mal düsteren Bildern. Susanne Gerdom gelingt es, die ganze Komplexität der Handlung unterhaltsam zu verpacken, so dass Unterhaltung und Tiefgang sich gegenseitig nicht ausschließen - aber ein bisschen mitdenken muss man schon! Besonders beeindruckt war ich davon, wie unmerklich und im Geheimen sie die vielen Bruchstücke der Handlung zusammensetzt, bis man auf einmal das Gesamtbild erkennt...

Fazit:
Dieses Buch lässt sich nicht von Genregrenzen einschränken: hier findet man alles, von magischen Wesen und Engeln über Geheimbünde und kaiserliche Spione bis zu Steampunk-Technologie und einer albtraumhaften Irrenanstalt. Es bietet sowohl Spannung als auch Anspruch, und eine Handlung, die man sich aus ihren bunten Splittern erst zusammensetzen muss - ein Buch zum mitdenken und mitfiebern, das mich uneingeschränkt begeistert hat! Ich werde den zweiten Band direkt lesen, ich habe ihn schon auf dem eBook-Reader.