Rezension

Düster und langatmig

Stiller Zorn - James Sallis

Stiller Zorn
von James Sallis

Bewertet mit 3 Sternen

Die Grundstimmung in "Stiller Zorn" ist sehr dunkel, erinnerte mich stark an einen Film Noir. Da passt es, dass das in den USA bereits 1992 erschienene Buch, 1999 bereits in der "Dumont Noir" Reihe erschien, allerdings als "Die langbeinige Fliege".
Das Buch spielt in New Orleans. Im schwitzigen, feuchten French Quarter. Endlich mal ein Buch, das nicht in New York oder Kalifornien spielt, sondern in dieser gebeutelten Stadt des Jazz. Nicht nur der Handlungsort ist ungewöhnlich, sondern auch der Aufbau des Buchs. Abgesehen davon, dass das Buch nur knapp 180 Seiten "lang" ist, spielt es in 4 verschiedenen Zeiten. Chronologisch, so dass man als Leser, Lew Griffin (Hauptfigur und Alkohol frönender Detektiv) bei seiner persönlichen Entwicklung begleitet.
Durch das bewusste Weglassen bzw. durch die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Episoden, ist man als Leser gefordert. Ich fand mich im Laufe der Geschichte bzw. nach Abschluss einer Episode und zu Beginn der nächsten Folge immer völlig verwirrt am Beginn von etwas Neuen. Was ist in den letzten Jahren alles passiert? Was hat das Leben mit dir gemacht, Lew Griffin?
So entsteht einiges an Interpretationsfreiraum. 
Ein zentrales Thema spielt in dem Buch für mich die Gesellschaft. Es ist erschreckend, wie trocken und nüchtern Sallis die Gesellschaft darstellt. Erschreckend weil es passt. Gewalt, Prostitution, Kindesmissbrauch, Drogen, Alkohol. Es ist völlig alltäglich. Jedermann hat sich daran gewöhnt. Nur einige wenige sehen den Missstand und versuchen zu fliehen. 
Gewaltdarstellungen werden kaum beschrieben und nicht ausgeschmückt. Das brauchen sie auch nicht zu sein. Der Gedanke daran reicht vollkommen aus. 
Lebe ich auch in einer solchen Gesellschaft?

Das Buch hat mich überrascht. Es hat meine Erwartungen nicht erfüllt. Ich habe schlichtweg mit völlig anderer Lektüre gerechnet. 
Nachdem ich den Klappentext gelesen habe, war für mich sonnenklar, dass ich mich auf eine 180 Seiten lange, schnelle, kurzweilige Hatz begebe. "Stiller Zorn" ist genau das Gegenteil. 
Wer also ein Buch lesen möchte, auf dem von Anfang bis Ende Verfolgungsjagden, Action und die Suche nach einem vermissten Kind á la "96 Hours" die Handlung ziemlich genau abstecken, der ist hier völlig falsch. "Stiller Zorn" ist anders. Es ist dunkler, verworrener und nachdenklicher als viele andere Thriller (?), die ich bisher gelesen habe. 
Ich gebe dem Buch 3 Sterne. Warum? Nun, es hat mich einfach nicht gepackt. Es kam keine Spannung auf. Ich hatte das Gefühl, dass ich das Buch auch getrost auf Seite hätte legen können, ohne das Gefühl "verdammt, wie geht es jetzt weiter?".
Aber nicht alles ist schlecht. Es ist... ungewöhnlich und ambitioniert.