Rezension

Es war einmal ein Versprechen...

Hundert Tage Tibet - York Hovest

Hundert Tage Tibet
von York Hovest

Einst schrieb  York Hovest einem Mann einen Brief und gab ihm ein Versprechen. Dieser Mann war niemand anderes als der Dalai Lama. Er versprach ihm, eines Tages in sein Land zu reisen und alles, was es ausmacht, fotografisch festzuhalten. Er versprach, die Bilder eine ganz besondere Geschichte erzählen zu lassen. Vielleicht glaubte der Dalai Lama ihm. Vielleicht nicht. Doch eins steht fest:  York Hovest hielt sein Versprechen. Viel Geld und noch mehr Zeit steckte in seiner Reise, doch schließlich gelang ihm, was zuvor unmöglich erschien: er bannte Tibet in all seiner Pracht, mit all seinen beeindruckenden Facetten, mit seiner Natur, seinen Menschen, seiner Religion, seiner Geschichte auf Fotografien. Er hat es trotz aller Hindernisse geschafft, Orte zu erkunden, die den meisten anderen Menschen verborgen und verwehrt bleiben und vor allem ist es ihm gelungen, seine tiefe Faszination für dieses Land in seinen Fotos wiederzugeben. Wo die landschaftlichen Fotos begeistern und den Atem rauben, berühren die Porträts von einzelnen Personen und die bewegenden Aufnahmen von Menschen, die weiter den Weg ihrer Tradition gehen, selbst wenn das bedeutet, mitten auf einer viel befahrenen Straße zu laufen. "Kritische" Fotos, die Tibet auch von seiner anderen Seite zeigen, die beispielsweise das Militär zeigen, fehlen. Leser, die einen vollständigen Bildband vor sich haben möchten, mag das stören. Andere vielleicht nicht. Das ist eine Frage der Prioritätensetzung bei diesem Bildband.  (Die Reise mag etwas weniger unmöglich und seine Leistung etwas weniger beeindruckend erscheinen, wenn man an den Sponsor denkt, der sie ihm finanziert hat.)

In 100 Tage Tibet erzählt  York Hovest von den Strapazen, die er auf sich genommen hat. Von der mehrfachen Konfrontation mit dem Gesetz, von dem Kampf gegen Naturgewalten, von dem Erkunden der eigenen Grenzen. Von den Menschen, denen er begegnet ist, und die bleibenden Eindrücke, die diese hinterlassen haben. Von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die ihm widerfahren ist. Von den Menschen, ohne deren Hilfe er diesen Bildband niemals hätte machen können. In seinen Berichten, die nicht so wirkungsvoll sind wie seine Fotos, erzählt er vor allem von seinen Anstrengungen, von den sportlichen Aktivitäten während des Aufenthalts in Tibet. Das Schriftbild ist schön dezent, sodass die Fotos wirken können, ohne von verspieltem Layout überschattet zu werden. Letztendlich sprechen seine Fotos für sich, aber die Texte helfen manches Mal zu verstehen, woher die Gefühle stammen, die auf den Fotos zu sehen und zu spüren sind. Nicht immer hat mich interessiert, was er geschrieben hat, oftmals habe ich die Bilder lieber selbst sprechen lassen, aber manches Mal waren die Informationen in seinen Texten sehr interessant. 

100 Tage Tibet befasst sich vor allem mit den schönen Facetten des Landes und überzeugt besonders durch eindrucksvolle Naturaufnahmen. Der Stil der Fotografien ist etwas gewöhnungsbedürftig, vielleicht wurde auch ein Filter verwendet. Einerseits passt er teilweise hervorragend zu den Motiven, andererseits hätte ich mir manchmal unbearbeitete Bilder gewünscht. Aber das ist Geschmackssache. Schön ist, dass das Versprechen, das  York Hovest dem Dalai Lama gegeben hat, den Bildern noch etwas mehr Tiefe verleiht und dass es sich wie ein vielleicht nicht sichtbarer, aber spürbarer roter Faden durch die Fotos zieht. 
Trotz des einen oder anderen Kritikpunktes ist es ein schöner, gelungener Bildband über Tibet und seine Einwohner. 

~*~ National Geographic ~*~ 220 Seiten ~*~ ISBN: 978-3-86690-411-8 ~*~ Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag ~*~ 45,00€ ~*~ Oktober 2014 ~*~
 

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