Rezension

Hätte auch doppelte Seitenzahl haben können

Der Sohn aus Spanien - Tessa de Loo

Der Sohn aus Spanien
von Tessa de Loo

Bewertet mit 5 Sternen

Inlet
Gerlof de Windt feiert seinen achtzigsten Geburtstag im Kreise seiner Familie. Seine Kinder haben ein Fest für ihn ausgerichtet, und alle sind gekommen: Edwin, sein ältester Sohn, ein erfolgreicher Manager, dem Karriere und Geld über alles geht: seine Frau Floor, die an Depressionen leidet; Hilde, die einzige Tochter de Windts, die besessen ist von ihrer Mission, Menschen zu helfen; der jüngste Sohn, Frank, Modefotograf und - sehr zum Missfalles seines Vaters - schwul. Überraschungsgast ist Bardo, der "verlorene Sohn", der vor dreißig Jahren den Kontakt zur Familie abgebrochen hat und nach Spanien ausgewandert ist. Doch die Freude über das Wiedersehen wird getrübt durch Schuldzuweisungen und nicht verwundene Enttäuschungen. Eine Konfrontation scheint unvermeidlich, das Fest droht zu eskalieren...

Zur Autorin
Mit ihrem Roman "Die Zwillinge" gelang der erfolgreichen holländischen Autorin Tessa de Loo auch in Deutschland der große Durchbruch. Wochenlang stand sie damit auf den Bestsellerlisten, der gleichnamige Film wurde für den Oscar nominiert. Die Autorin lebt heute in der Nähe von Paris und auf einem Landgut in Portugal.

Meine Meinung
Ich war nicht in der Lage das Büchlein aus der Hand zu legen. Die ersten paar Seiten versetzten mich aufgrund des Erzählstils ins Grübeln, ob das mit dem Buch und mir was werden würde; aber schon nach ein paar Seiten war ich so in der Geschichte drin, dass ich weiterlesen musste.
Meiner Meinung nach hat es die Autorin sehr gut geschafft, realistisch jeden Charakter sprechen zu lassen. Sie hat also jedem Familienmitglied eine eigene Stimme gegeben und das auch fiktiv hervorragend hingekriegt. Jedes hatte eine eigene Persönlichkeit, die man ihm sofort abnahm und mit der man sich sofort auseinandersetzte.
Erstaunlicherweise konnte ich jedem etwas abgewinnen. Jeder hatte auch gute Seiten, jeder auch hier und da mal Recht mit Behauptungen und Gefühlen oder Ansichten. Es festigte sich schnell ein Bild dieser Familie und gleichzeitig ihre Tragödie.
Der griesgrämige "Alte" ließ zu, dass Bardo seine harte Schale knacken konnte. Und wieder einmal mehr sind die Kinder die, die den Durchblick haben, unvoreingenommen wahrnehmen und sich entscheiden ohne sich von Sentimentalitäten, Lügen oder anderen Dingen beeinflussen zu lassen! Klasse.
Es passierten komische Dinge beim Lesen; ich fühlte mich zeitweise als Voyeurin, weil ich in die tiefen, lang gehüteten Familiengeheimnisse geschmissen wurde und "zuhören" musste, wollte ich wissen, wie es ausgeht, trotz der peinlichen Intimitäten, die offengelegt wurden. Dann wieder zog ich Parallelen zu meiner Familie, wo ich doch seit einem Jahr meine Mutter pflege. Ich verglich mich und meine Mutter, bzw. meine Familie unwillkürlich mit den de Windts. Das machte traurig und auch wieder froh, je nachdem, was ich dabei empfand. 

Ein sehr schönes Buch, in die tiefe gehend und doch aufgrund der Seitenzahl an der Oberfläche bleiben müssend. Und trotzdem gut herausgearbeitete Charaktere, eine realistische Erzählweise. Immer versehen mit der Anregung, zwischen den Zeilen zu lesen, die fehlenden Zeilen durch eigene Gedankengänge zu ersetzen, sich selber einzubringen. Man hätte dem Buch durchaus mehr Seiten mit auf den Weg geben können, aber es fehlt einem trotzdem nichts...

Für mich ganz klar ***** Sterne!

Und nun viel Freude beim Lesen.