Rezension

Spannung lässt schnell vergessen, dass es nur ein Interview ist

Interview mit einem Vampir
von Anne Rice

Klappentext:
Er ist so schön wie ein Engel und so unverletzbar wie ein Gott: Lestat de Liancourt, der ewige Rebell unter den Vampiren, Beherrscher der Finsternis und Verführer von großer erotischer Kraft. Mit seinem Schützling Louis macht er sich auf die Reise durch die Nacht – auf der Suche nach anderen Untoten, nach Gefährten und Abenteurern in der ewigen, dunklen Unsterblichkeit.

Einordnung:
- Interview mit einem Vampir (Teil 1)
aus dem zunächst als Einzelband geplanten Buch ist eine Reihe geworden
- Der Fürst der Finsternis (Teil 2)
- Die Königin der Verdammten (Teil 3)
- Nachtmahr (Teil 4)
- Memnoch der Teufel (Teil 5)
- Armand der Vampir (Teil 6)
- Merrick oder die Schuld des Vampirs (Teil 7)
- Blut und Gold (Teil 8)
- Blackwood Farm (Teil 9)
- Hohelied des Blutes (Teil 10)
- Prinz Lestat (Teil 11)

Rezension:
Wer sich den Klappentext ausgedacht hat, hat das Buch offenbar nicht gelesen. Der letzte Satz beschreibt so ziemlich das Gegenteil der Handlung, an der Lestat beteiligt ist. Sie reisen nicht herum, sondern leben lediglich an zwei verschiedenen Orten. Außerdem setzt Lestat alles daran zu verhindern, dass sich Louis, der Erzähler der Geschichte, auf die Suche nach anderen Vampiren macht. Auch nach Abenteuern und Abenteurern sucht Lestat bestimmt nicht, denn eigentlich will er nur Geld mit beiden Händen aus dem Fenster werfen, ohne einen Finger dafür krümmen zu müssen, es zu bekommen. Allerdings hatte ich den Klappentext nicht gelesen, bevor ich das Buch angefangen habe, sodass er zumindest bei mir keine falschen Erwartungen geweckt hat.

Der Titel des Buches hingegen trifft den Inhalt ziemlich genau. Bis auf ganz wenige Sätze handelt es sich fast ausschließlich um einen Dialog zwischen dem Vampir Louis und einem Jungen, der das Interview führt. Allerdings sind die Redeanteile des Vampirs so groß, dass ich zwischendurch immer wieder vergessen habe, dass es nur Erzählungen sind. Dadurch kommt enorme Spannung auf, denn es entsteht der Eindruck als würden die Dinge gerade im Moment geschehen. Das ist wirklich gut gemacht. Immer wieder haben mich dann die Einwürfe des Jungen, der das Interview durchführt, aus dem Konzept gebracht und die Spannung abreißen lassen, nur um sie wenige Sätze später wieder aufzunehmen, weil die Schilderungen spannend genug sind, um den Leser die Unterbrechung beinahe direkt wieder vergessen zu lassen.
Nichtsdestotrotz hat sich das Buch zwischenzeitlich auch sehr gezogen. Es gibt Handlung über Handlung und es passiert immer mehr und mehr, aber die Seiten werden einfach nicht weniger. Und das liegt nicht einfach an meiner Ausgabe, das Buch hat tatsächlich nur knapp 300 Seiten. Daher hatte ich immer wieder das Gefühl, überhaupt nicht vorwärts zu kommen. Vermutlich hat dazu auch beigetragen, dass ich keine Idee hatte, worauf die Geschichte hinauslaufen sollte. Das hat sich leider auch nach dem Beenden des Buches nicht geändert. Ich weiß immer noch nicht, worauf die Geschichte abzielt, außer dass Louis dem Leser seine Lebensgeschichte erzählen konnte.

Zunächst positiv, später allerdings negativ ist mir aufgefallen, dass Homoerotik eine sehr große Rolle einnimmt in diesem Buch. Ich weiß nicht, ob es vielleicht am Wesen der Vampire liegt, aber es gibt mehr gleichgeschlechtliche Bindungen und homoerotische Gefühle als heterosexuelle Charaktere. Im Prinzip stört mich das natürlich nicht, ich finde es beeindruckend, dass das in einem Buch von 1976 (Erscheinungsjahr des englischen Originals) schon so selbstverständlich aufgegriffen wird. Allerdings hat es sich irgendwann so gehäuft, dass ich nach einiger Zeit nur noch „Wie jetzt, der auch?“ denken konnte. Besonders weit ausgeführt wird es nicht, über Umarmungen, Händchen halten und kurzweilige Lustgefühle geht es nie hinaus, aber dafür hatte ich das Gefühl, dass sich nahezu jeder männliche Charakter in fast alle anderen männlichen Charaktere, der er im Laufe der Geschichte trifft, verliebt. Etwas weniger hätte es da durchaus auch getan.

Fazit:
Obwohl es sich bei dem gesamten Buch um ein Interview handelt, ist es wirklich spannend. Die Redeanteile des Vampirs Louis sind so groß, dass ich immer wieder vergessen habe, dass die Ereignisse sich nicht gerade abspielen, sondern bloß berichtet werden. Nichtsdestotrotz zieht sich die Geschichte hin und wieder und hat bis zum Schluss kein erkennbares Ziel. Außerdem scheint beinahe jeder auftauchende Charakter homosexuell zu sein. Anfangs ist das noch beeindruckend, später wirkt es irgendwann unrealistisch. Insgesamt bekommt „Interview mit einem Vampir“ daher vier Schreibfedern von mir.