Rezension

Worüber die Zeit hinweg geht

Clockwork Orange - Anthony Burgess

Clockwork Orange
von Anthony Burgess

Bewertet mit 3 Sternen

 

Der legendäre und viel diskutierte Stoff von Anthony Burgess über den Anführer einer brutalen Londoner Jugendgang wurde Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts zunächst in einer leicht gekürzten Fassung veröffentlicht. Die deutsche Neuübersetzung von Ulrich Blumenbach erschien 2013 bei Klett-Cotta und hat das ursprüngliche Manuskript zur Grundlage: Bandenchef Alex raubt, vergewaltigt und mordet sich zusammen mit seinen Spießgesellen durch ein komplett empathieloses Dasein. In der Gang beginnt ein Machtkampf, dessen Opfer am Ende Alex wird, den die Bande der Polizei nach einem Einbruch mit Todesfolge auf dem Silbertablett serviert. Um dem Gefängnis vorzeitig zu entgehen, willigt Alex in ein Konditionierungsprogramm gegen Gewalt ein. Mit  einem Mix aus Drogen und einer Endlosspirale aus gewaltverherrlichenden Filmsequenzen wird ihm innerhalb von vierzehn Tagen eine so wirksame Gehirn- (oder besser: Gemüts-)wäsche verabreicht, dass Alex fortan schon beim bloßen Gedanken an womöglich eigens eingesetzte Aggression gegen andere unerträgliche Übelkeit befällt. Er will freilich noch Böses tun, kann es aber nicht mehr. Auf freien Fuß gesetzt, gerät er nun selbst in die Position des Gepeinigten, ehemalige Opfer rächen sich bitter an ihm. Eine politische Organisation missbraucht ihn als Galeonsfigur gegen die neue Regierungspolitik der Verbrechensbekämpfung durch Konditionierung und treibt ihn schließlich in einen Selbstmordversuch. Nach schweren Verletzungen genesen, nimmt Alex sein altes Leben wieder auf - die Umerziehung wirkt plötzlich nicht mehr. Doch schließlich merkt er, dass ihm all die Gewalt nichts mehr bedeutet, sehnt sich auf einmal nach einem ruhigen bürgerlichen Dasein. Die Beschreibung, wie das dann ausgesehen hätte, erspart uns Anthony Burgess glücklicherweise - hier endet das Buch. Was eine diskursiv angelegte Prosakomposition über die Frage hätte werden können, ob die Entscheidungsfreiheit zwischen Gut und Böse das eigentliche Menschsein ausmacht, verschwimmt leider im schwer lesbaren Slang der Jugendgang, die von russischen Lehnwörtern durchsetzt ist und in den in voller epischer Breite beschriebenen Gewaltexzessen. Alex als Ich-Erzähler beleuchtet sein Handeln vom Standpunkt eines Homo ludens, die spielerisch-lächerliche Ebene seiner Untaten verharmlost diese permanent, was zwar durchaus in der Intension des Autors gelegen haben wird, von mancher/m LeserIn aber auch sicherlich als ein literarisches Dokument faschistoider Brutalitätsverherrlichung gesehen werden könnte. Auf der anderen Seite wirken viele Schilderungen von Straftaten heute auch auf eineN deutscheN LeserIn nicht mehr so drastisch wie vor über fünfzig Jahren beim ursprünglichen Erscheinen des Buches. Vieles davon ist längst Alltag in sozialen Brennpunkten auch deutscher Großstädte. Vielleicht ist die Zeit tatsächlich ein wenig hinweg gegangen über die von Burgess gewählte Form der Stoffbearbeitung. Die Fragen, die Clockwork Orange aufwirft (siehe oben), sind dagegen aktuell wie eh und je. Leider erkennt man sie ohne die Hinweise im editorisch umfangreichen Anhang des Buches kaum. In Burgess' Roman dominiert die schlichte Chronologie der Handlung. Schade.

 

 

 

 

Kommentare

hobble kommentierte am 17. August 2015 um 06:06

Hier ist ausnahmsweise mal das Buch schlechter als der Film