Spannende Jagd durch Lissabon
Bewertet mit 5 Sternen
Gleich mit dem ersten Satz wird man in die Geschichte gesogen, einige Seiten weiter, schon wandert man durch die Hauptstadt Portugals. Der wortspielreiche Schreibstil des Autors zeichnet schnell und gekonnt ein Bild von Lissabon, entführt in die enge Gasse des Antiquitätenladens voller KrimsKrams und seiner vielseitigen Bewohner und zeigt, dass auch der Autor der Stadt eindeutig verfallen ist und sie gut kennt. Obwohl viele touristische Plätze vorkommen, sind auch einige weniger bekanntere Strassenecken im Roman, die ich als Lissabon-Kenner dennoch mit grosser Freude wieder entdecke. Für alle anderen gibt es eine anschauliche Karte auf der Innenseite des Buchdeckels mit den wichtigsten Handlungsorten der Geschichten schon eingetragen. Solche kleinen Extras finde ich persönlich immer ein grosses Plus, auch weil ich Karten generell sehr mag.
Der Aufbau der Geschichte ist rasant. Kaum ist man angekommen, trifft man auf die ersten komischen Gestalten, schon passiert ein Unfall, der nicht ganz zufällig scheint, weitere Figuren tauchen auf und der Strudel an Geschehnissen saugt Henrik und den Leser immer tiefer in das Erbe seines Onkels. Wie Tom Hanks in der Verfilmung der Dan-Brown-Bücher, jagt der Hauptprotagonist von einem Hinweis zum nächsten, folgt mehr oder weniger freiwillig der heissen Spur und verwickelt sich immer mehr, sodass er natürlich auch selbst in Gefahr gerät (bzw. schon seit Ankunft auf der Zielscheibe einiger Personen war). So wird es auch kaum langweilig, weil immer wieder neue Wendungen der Geschichte neuen Anschub geben, neue Nebengeschichten oder grausige Details offenlegen oder Vorahnungen des Lesers neu kontextualisiert.
Einzig an den Personen selbst hätte der Autor vielleicht noch feilen können. Trotz der Arbeit und Liebe, die er in seine Figuren sicherlich steckte, zeigen mir einige Protagonisten doch zu viel Klischees leider. Der bunte Haufen Mitbewohner bzw. Untermieter, die Henrik in dem Gebäude des Antiquitätenladens antrifft, ist nicht nur höchst interessant gemischt, sondern vor allem ein wilder Mix aus komischen alten Kauz, künstlerischer Verschwiegenen, einer indischen Immigrantenfamilie und einem leicht reizbaren Hippie. Was nach Würze klingt, verpufft leider schnell, aber vielleicht kommen die ja nochmal auf den Plan. Weitere Nebenfiguren, wie beispielsweise die Handlanger von Henriks Gegnern, bleiben meist zweidimensional. Die Frauen, die Henrik auf seiner Suche nach Wahrheit und Vergangenheit antrifft, haben einige mir unnachvollziehbare Reaktionen, wie auch Henrik selbst. Soll er nicht ehemaliger Polizist sein? Wo hat er denn seine Instinkte gelassen, Praktiken aus seiner Polizeiausbildung? Manchmal läuft er mir zu naiv in die nächste Falle, als dass es authentisch wirkt. Auch werden die Zufälle irgendwann zu viele. Doch solange es dennoch spannend bleibt, sehe ich gerne über solche Kunstfehler hinweg. Schlecht unterhalten fühlte ich mich zumindest nie.
4,5 / 5 Sterne