Rezension

Wahnsinnig gut!

Kill Your Darlings - René Pollesch

Kill Your Darlings
von René Pollesch

„Der Kapitalismus tritt als Netzwerk auf!“ Und Pollesch sorgt dafür, dass die Kapitalismuskritik endlich wieder ein Ziel hat!

„Der Kapitalismus tritt als Netzwerk auf!“ So lautet die erste These aus Polleschs Meisterwerk. Fabian Hinrichs, genannt F., ist ein Individuum, das sich sehnlichst wünscht, echte Gefühle zu erleben, so wie Liebe oder Seenot - aber trotzdem verfügbar bleiben muss. Denn das ist das Erfolgsrezept in einer Welt, wo das Netzwerk das neue Gesicht des Kapitalismus ist. Beziehungen sind nämlich eine Ressource, die man nutzen muss, wie in der Leseempfehlung für das Stück (Boltanski/Chiapello: „Die Rolle der Kritik in der Dynamik des Kapitalismus und der normative Wandel“) erklärt wird.
Pollesch zeigt, wie sich dieser Wandel auf ein Individuum auswirken kann:
Nämlich durch entartete Beziehungsstrukturen, paradoxe Wünsche, Sinnkrisen und Verzweiflung über das Ausbleiben einer Antwort. Als funktionales Rädchen im System gefangen, angetrieben durch einen Motor, der Individualität, Selbstverwirklichung, Flexibilität und Freiheit verspricht. Diesen Motor nennen Boltanski/Chiapello auch „Geist des Kapitalismus“.

So verwebt Pollesch theoretische Grundlagen, reihenweise Brechtbezüge und Verfremdungselemente zu einem Stück, das nicht nur tiefsinnige Diskurse führt, sondern auch das Etikett „Cool Fun“ trägt. Ein stummer Chor aus Turnern, verrückte Kostüme, Bagger, Drehbühnen, Video-Clips, Popsongs und blinkende Requisiten kommen zum Einsatz, um das Publikum maßlos zu bespaßen. Und gleichzeitig zu überfordern.
Gottseidank gibt es also diese Verschriftlichung! Perfekt zum recherchieren und sinnieren, um dem intelektuellen Anspruch gerecht zu werden.