Rezension

Vom unbedingten Willen zu überleben

Der Aufstand von Treblinka -

Der Aufstand von Treblinka
von Michał Wójcik

Bewertet mit 5 Sternen

Der polnische Journalist Michał Wójcik erzählt vom Aufstand der jüdischen Häftlinge im deutschen Vernichtungslager Treblinka im August 1943.

 

Dieser Lager, rund 80 km nördlich von Warschau gelegen, ist von Beginn an als reines Vernichtungslager angelegt - ca. 900.000 Menschen werden hier unter dem Code „Aktion Reinhardt“ umgebracht. Selbst für die arbeitsfähigen Deportierten gibt es nur eine kurze Überlebensphase. Sie wurden lediglich für die Sortierarbeiten von geraubten jüdischen Vermögen, wie schon ihre Bezeichnung „Goldjuden“, „Schuhjuden“ oder Kleiderjuden beweist, benötigt. Keiner konnte sich sicher sein, bei der Ankunft des nächsten Zuges nicht selbst in die Gaskammer geschickt zu werden - jeder ist leicht ersetzbar.

 

Die Augenzeugenberichte der wenigen Überlebenden berichten von besonders grauenvollen Erlebnissen. So sind die Knochen der Ermordeten zu feinem Knochenmehl zermahlen und gemeinsam mit Zement als Straßenbelag verwendet worden. Das klingt einfach so grausam, dass man es kaum glauben kann. Diese und ähnliche Ereignisse sind vermutlich auch daran schuld, dass die Engländer, die von den Gräueltaten gewusst haben, diese nicht glauben konnten.

 

Um dieser Vorhölle zu entkommen haben mehrer Ausbruchsversuche stattgefunden, die alle schon im Anfangsstadium gescheitert sind. Denn ohne Hilfe von außen, von der Bevölkerung der umliegenden Gehöfte ist ein Gelingen nicht möglich. Zudem wissen die Drahtzieher nie, ob sich unter den Verschwörern nicht doch ein Spitzel ist, der für einen Teller Suppe das Vorhaben verraten würde. Im August 1943 ist es dann soweit: Eine kleine Gruppe Entschlossener, teils mit militärischer Ausbildung aus dem Großen Krieg, haben kleinweise Waffen aus den Depots beiseitegeschafft und wagen den Aufstand. Und der gelingt! Rund 250 der 800 Lagerinsassen schaffen es, zu entkommen. Vieles ist improvisiert.

 

Doch damit ist ihre Flucht noch nicht zu Ende, denn einige polnische Partisanengruppen machen ebenso Jagd auf die Juden wie die Nazi-Schergen selbst. Hier widerspricht der Autor dem tradierten Geschichtswissen seiner Landsleute, die sich „ihren“ Anteil am Gelingen des Aufstandes in Treblinka auf ihre Fahnen heften.

Es stellt sich die Frage, warum nicht mehr aus dem Lager geflohen sind. Der Autor begründet das nicht nur mit der allgemeinen körperlichen Schwäche, sondern auch damit, dass nur ganz wenige in den Aufstand eingeweiht waren. Taktisches Geschick, das für eine solche beinahe militärisch anmutende Operation nötig ist, hat man den Juden ja seit Jahrzehnten abgesprochen. Die meisten sind gar nicht in der mentalen Lage, die Möglichkeit zu erfassen. Sie sind geknechtet, demoralisiert und nehmen sich selbst (fast) nicht mehr als Menschen wahr, sondern nur als dem Tod geweihte Masse.

 

Obwohl ich schon viele Bücher über die Shoa gelesen habe, war mir dieser Aufstand nicht bekannt. Es scheint, als würden es nicht einmal die Historiker so genau wissen (wollen). Ob dies an der Rolle der polnischen Partisanen und der nachfolgenden Politik der Warschauer Pakt-Staaten liegt?

 

Michał Wójcik hat jenen rund 100 Insassen, die Treblinka überlebt haben, nachgespürt. Einige von ihnen, wie Chil Rajchman oder Samuel Willenberg haben Erinnerungen hinterlassen, die Grundlage für dieses Buch sind. Allerdings lässt sich der Aufstand mangels weiterer, anderer Quellen nicht mehr rekonstruieren. Vielleicht gibt es noch Dokumente oder Berichte, die (noch?) tief in unzugänglichen Archiven schlummern. Und das ist gleichzeitig auch die Schwäche dieses Buches: Der Autor hat ausschließlich polnische Quellen benutzt, die im Anhang (samt deutscher Übersetzung) genannt sind

Das wundert mich ein wenig, denn die Ergebnisse der neueren (deutschen) Forschung sowie Gerichtsakte sollten eigentlich zur Verfügung stehen.

 

Dennoch gebe ich diesem Buch volle 5 Sterne, denn Michał Wójcik hat den Menschen, die im August 1943 alles riskierten, ein Denkmal gesetzt.