Rezension

1. Band der Mercy-Reihe

Mercy - Gefangen - Rebecca Lim

Mercy - Gefangen
von Rebecca Lim

Bewertet mit 4 Sternen

Sie weiß nicht, wer sie wirklich ist. Was sie weiß ist, dass sie wie ein 16-jähriges Mädchen aussieht, mit blasser Haut, braunen Haaren, braunen Augen und für ein Mädchen sehr groß zu sein scheint - zumindest ist das der Hauch eines Bildes, den sie sieht, wenn sie in einen Spiegel schaut. Doch wer sie ist, weiß sie nicht und was genau sie ist, auch nicht. Sie nennt sich Mercy, diesen Namen scheint sie sich bereits vor längerer Zeit gegeben zu haben, aber woher soll sie das so genau wissen. Nichts ist beständig in ihrem Leben - wenn man von einem solchen sprechen mag, denn sie besitzt noch nicht einmal einen eigenen Körper. Sie überlebt, indem sie Körper von anderen Mädchen in deren Besitz nimmt, jedoch nicht freiwillig, sie wacht einfach in ihnen auf. Das einzig beständige in ihrem Leben findet sie in ihren Träumen: Luc, von dem sie weiß, dass sie ihn unbedingt finden muss, damit sich ihr Dasein endlich aufklärt. Doch sie hat auch Feinde, vor denen Luc sie gewarnt hat: die Acht.

Als Mercy erwacht, befindet sie sich mitten in einer Mädchengruppe in einem Bus. Sie nimmt wahr, dass die Gruppe unterwegs nach Paradise ist, doch wer genau sie diesmal ist, weiß sie nicht. Erst bei ihrer Ankunft stellt sich heraus, dass sie die 16-jährige Carmen Zappacosta ist, ein Mitglied einer Chorgruppe, die in Paradise an einem 2-wöchigen Austauschprogramm teilnimmt. Wohnen wird sie bei der Familie Daley, bestehend aus den Eltern Stewart und Louisa und deren etwa 18-jährigen Sohn Ryan. Doch etwas stimmt mit dieser Familie nicht - Mercy alias Carmen kann es spüren. Eine tiefe Traurigkeit und Verzweiflung hängt über dem Leben der Familie. Es dauert nicht lange, bis sie herausfindet, dass vor etwa 2 Jahren Ryans Zwillingsschwestern Lauren verschwunden ist. Es wurde jede Menge Blut gefunden, aber keine Leiche. Seitdem lebt die Familie im Ungewissen. Stewart und Louisa haben sich damit abgefunden, dass sie nie genau erfahren werden, wie ihre Tochter ums Leben kam, aber Ryan ist nicht bereit zu akzeptieren, dass seine Schwester tot sein soll - er hätte es gemerkt, sie ist schließlich sein Zwilling.

Ryan hat nie aufgegeben, nach seiner Schwester zu suchen. Er hat sein eigenes Leben sozusagen auf Eis gelegt, um in Erfahrung zu bringen, wo seine Schwester ist. Noch immer empfängt er Empfindungen von ihr - sie lebt noch. Mercy versucht derweil, aus Carmens Leben das bestmögliche zu machen. Nach anfänglichen Hürden gelingt es ihr, die Achtung der Leute vor Carmen zu erlangen, doch auch sie spürt, dass in Paradise irgendetwas nicht stimmt. Die Bewohner von Paradise halten Ryan für einen Freak, weil er einfach die Wahrheit nicht akzeptieren will - doch Mercy weiß, so unwahrscheinlich es auch ist, Lauren lebt noch und ist in der Nähe. Sie beschließt Ryan bei der Suche nach seiner Schwester zu helfen und kommt Ryan immer näher. Doch sie weiß auch, dass ihre Zeit als Carmen jederzeit vorbei sein könnte ...

Ein wunderschöner Auftakt! Der Plot wurde ganz gut ausgearbeitet, bietet allerdings wenige Überraschungen. Es ist leider schon von Anfang an mehr oder weniger ersichtlich, in welche Richtung sich das Buch bewegt. Jedoch muss ich zugeben, dass ich von den Protagonisten, allen voran Mercy und Ryan sehr angetan bin. Ryan wird als der typische Teenager dargestellt, außen hart und innen noch härter, doch Mercy und auch der Leser sehen hinter diese Fassade und entdecken, dass Ryan förmlich zerfressen von Schuldgefühlen gegenüber seiner Schwester und deren Verschwinden ist. Auch die Figur der Mercy fand ich ganz bezaubernd. Obwohl sie nur sehr wenige und sehr wage Erinnerungen an die Leben vor Carmen hat, weiß sie von sich aus, was für eine Persönlichkeit sie ist und ist nicht bereit, sich unterkriegen zu lassen, egal was ihre Umwelt dazu sagt. Auch die Entwicklung der Mercy/Carmen-Figur hat mir sehr gut gefallen. Der Leser wird, genau wie Mercy, in die Szene hineinkatapultiert und entdeckt mit ihr zusammen nach und nach ihr neues Leben und dessen Schwierigkeiten. Den Schreibstil empfand ich als sehr angenehm zu lesen und mir hat dieses Miteinander und Gegeneinander der Protagonisten so gut gefallen, dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen mochte und es an einem Abend durchgelesen habe. Leider gibt es auf Grund des vorhersehbaren Plots einen Punkt Abzug, was mich jedoch nicht daran hindert, auf den nächsten Band der Reihe "Erweckt" gespannt zu sein.