Rezension

16-jährige auf den geistigen Niveau einer 10-jährigen

Liebe geht durch alle Zeiten. Edelsteintrilogie 01. Rubinrot - Kerstin Gier

Liebe geht durch alle Zeiten. Edelsteintrilogie 01. Rubinrot
von Kerstin Gier

Bewertet mit 2 Sternen

Kerstin Giers Trilogieauftakt "Rubinrot" hat mich wirklich sehr enttäuscht - bei all den guten Kritiken hatte ich hervorragende Fantasy-Unterhaltung erwartet. Bevor ich mich darüber auslasse, was ich in diesem Buch stattdessen bekommen habe, vielleicht zwei kurze Anmerkungen: Ich bin Mitte 20 und somit nicht mehr in der direkten Zielgruppe dieses Romans, lese aber immer wieder gerne Jugendliteratur und gerade bei dieser wurde mir gesagt sie sei "All-Age"-geeignet. Desweiteren möchte ich zukünftige Leser ungern mit Spoilern quälen, daher werde ich versuchen, die inhaltliche Entwicklung des Romans so weit es geht zu vermeiden und nur anhand einiger Beispiele die meiner Meinung nach vorhandenen Schwächen dieses Romans zu erläutern.

Erst aber kurz zum Inhalt: Ich-Erzählerin ist die 16-jährige Londoner Schülerin Gwendolyn Sheperd, in deren Familie ein Zeitreise-Gen vererbt wird. Um die Zeitreisenden, von denen es insgesamt über die letzten Jahrhunderte verteilt zwölf gab, hat sich ein ganzer Geheimbund gebildet, die den sogenannten Chronographen besitzen, mit dem sie Zeitreisen kontrollieren können. Aufgrund einer Vorhersage gehen alle davon aus, dass ihre Cousine Charlotte dieses Gen geerbt hat und sie und nicht Gwendolyn wurde ihr gesamtes Leben auf die Zeitreisen vorbereitet. Als dann aber Gwendolyn in der Zeit zurückspringt ist die Verwirrung groß. Außerdem erfährt Gwendolyn von dem 19-jährigen Gideon de Villiers, der ebenfalls in der Zeit reist und von den beiden letzten Zeitreisenden, Lucy und Paul, die den Geheimbund vor 16 Jahren betrogen haben und sich seit dem vor ihm in der Vergangenheit verbergen.

Das größte Problem dieses Romans ist, dass die Autorin es meiner Meinung nach nicht geschafft hat, eine glaubwürdige, sympathische Protagonistin zu erschaffen, die sich ihrem Alter entsprechend verhält. Gwendolyn ist ein - Entschuldigung - unfassbar dummes Huhn: naiv ohne Ende, oberflächlich, schwer von Begriff und geistig auf den Stand einer 10-jährigen.
Als sie entdeckt, dass offensichtlich sie das Zeitreise-Gen besitzt und nicht ihre Cousine, druckst sie auf lächerlichste Weise vor ihrer Familie herum - weil sie angeblich Angst hat, für verrückt erklärt zu werden? Bei einem Fakt, der sich innerhalb weniger Stunden für alle sichtbar bestätigt, da dann der nächste Zeitsprung stattfindet, und in einer Familie, die sich seit Jahrhunderten mit nichts anderem als mit Zeitreisen beschäftigt? Die Logik bleibt im ersten Teil des Buches daher schon mehrfach auf der Strecke und ich konnte bei den mehrmaligen Nachfragen (ob man sich denn nicht bei Charlotte doch vertan haben könnte? Wäre das denn wirklich unmöglich?) nur noch die Augen rollen.

Anschleißend beweist sie noch eindrucksvoll, dass sie nicht in der Lage ist, sich für wenige Minuten allein die Aussprache (weder die Bedeutung noch die Schreibweise!) dreier simpler lateinischer Worte zu merken - nach mehrmaligem Hören und obwohl man ihr die Wichtigkeit dieser Worte deutlich vermittelt hatte. Stattdessen macht sie aus "Qua redit nescitis" so - Achtung Ironie - lustige Dinge wie "Quark edit bisquitis" und "Qua nesquick mosquitos". Soll man darüber vielleicht lachen? Über eine solch plumpe Zurschaustellung fehlender Gehirnmasse kann ich nicht einmal schmunzeln, es nervt mich.

Überhaupt weiß Gwendoyln einfach gar nichts. Politik, Geschichte, Geographie, Technik - allein schon das Lesen eines Buches - das ist alles nichts für sie und auch sonst ist sie mehr als nur schwer von Begriff. Es ist anstrengend für mich als Leser, wenn ich der Ich-Erzählerin in der Geschichte einfach immer schon hunderte von Schritten voraus bin, während sie sich die "ganzen komplizierten Zusammmenhänge" erst einmal haarklein von ihrer besten Freundin Leslie erklären lassen muss, die Gott sei Dank nicht ganz so beschränkt ist wie Gwendolyn selbst - wobei die Zusammenhänge wirklich nicht besonders kompliziert sind. Die Handlung ist in großen Teilen vorhersehbar - nur eben nicht für diese hohle Nuss, mit der die Autorin den Leser gestraft hat. Zum Beispiel soll Gwendolyn als zwölfte Zeitreisende über eine besondere Fähigkeit verfügen, die dem Leser eigentlich schon auf den ersten Seiten wie eine riesige Leuchtreklametafel in die Augen springt - aber Gwendolyn kommt bis zum Ende dieses Romans nicht mal der Hauch einer Idee.

Genug zu Gwendolyn, die anderen Charaktere sind allesamt auch nicht der Brüller. Es ist ein System aus Schwarz und Weiß und nach rationalem Verhalten sollte man nicht suchen.
Gwendolyns Mutter ist auch nicht gerade mit einem Übermaß an Intelligenz und Logik gesegnet, denn ihre Erklärungen, warum sie Gwendolyns Geburtsdatum fälschte und riskierte, dass ihre Tochter bei einer 50:50-Chance zwischen ihr und Charlotte völlig unvorbereitet in die Zeitreisewelt geworfen wird, sind einfach nur hanebüchen. Natürlich ist die Geschichte auch hier so vorhersehbar, dass der Leser eigentlich schon weiß, was wirklich hinter der Geheimnistuerei der Mutter steckt.
Charlotte, die schöne und gebildete Cousine, und ihre Mutter Glenda sind selbstverständlich die beleidigten "Bösen", auch wenn ihre Ausbrüche bei ihrem Bildungsstand und unter der Vorraussetzung, dass die Veranlagung zur Zeitreise genetisch bedingt ist und nicht "gestohlen" werden kann, einfach nur konstruiert wirken und sich nicht logisch in die Geschichte fügen. Da für mich Bildung, das Lesen eines Buches und das "Strebersein" auch nicht wirklich die negativsten Eigenschaften einer Jugendlichen sind, hätte ein wenig mehr Charlotte in Gwendoyln sicher nicht geschadet.

Der männliche Zeitreisende Gideon ist natürlich Gwendolyns absoluter Traumtyp und - natürlich - auch überheblich und zu Beginn gar nicht an ihr interessiert. Er wirft ihr auch vor ein durchschnittliches, oberflächliches Mädchen zu sein, das außer Haaren und Promi-Klatsch nichts im Kopf hat. Darüber echauffiert sich Gwendolyn selbstverständlich sehr, während ich hier das einzige Mal lachen musste, denn Gideons Analyse trifft den Nagel auf den Kopf. Immerhin ist es Gwendolyns einzige Leistung in der Masse ihres umfassenden Unwissens, dass sie die Besetzung unzähliger Spielfilme benennen kann, da sie diese als Lehrmedium für die Schule vorzieht, wie sie lobend erwähnt.
Das Gideon dann nur wenige Seiten später plötzlich ein romantisches Interesse an Gwendolyn entwickelt und sie auf einmal gar nicht mehr so dumm findet, ist so unglaubwürdig, dass es beim Lesen weh tat.

Neben den inhaltlichen Schwächen bei der Ausarbeitung der Charaktere, kann man außerdem kritisieren, dass dieses Buch nicht wirklich den ersten Teil einer Trilogie darstellt, sondern eigentlich nur die Einleitung eines Romans ist, den man bei kleiner Schrift mit geringerem Zeilenabstand und dünnerem Papier auch ganz locker mit den beiden Folgeteilen als einen einzigen Roman hätte veröffentlichen können. Der erste Teil hat einfach keine eigene, in sich geschlossene Handlung und die Herausgabe als Dreiteiler ist somit höchstens Geldmacherei.

Positiv möchte ich erwähnen, dass die Handlung zum Ende des Romans hin doch noch genug in Schwung kam und sich Giers Stil auch ganz flüssig liest, so dass ich zwei anstatt einen Stern als Bewertung abgebe. Insgesamt bin ich aber sehr enttäuscht und überlege noch, ob ich dem zweiten Teil, den ich leider schon hier habe, noch eine Chance gebe. Es kann ja eigentlich nur besser werden...