Rezension

193 Länder. Ich hätte es wissen müssen ...

Die Ländersammlerin - Nina Sedano

Die Ländersammlerin
von Nina Sedano

Ehrlichgesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass die Autorin sämtliche 193 anerkannten Staaten der Vereinten Nationen bereist hat - was für eine beeindruckende Zahl! Aber ob da außer Durchhetzen auch etwas Tiefgang möglich war? Der Stil jedenfalls ist frappierend schlicht und überzeugt mich auf den ersten Seiten noch nicht so recht. Lange habe ich kein so oberflächliches Vorwort mehr gelesen. Und tiefschürfend geht es gleich im ersten Kapitel weiter. Die Autorin begibt sich auf die Suche nach der alles entscheidenden Frage: "Wann war meine erste Reise ins Ausland? Und wohin? Wenn ich nur die Antwort wüsste. Sie liegt so nah und ist doch so fern ..." Leider geht es in dem Stil weiter. "Ich rolle mit den Augen. Am liebsten hätte ich laut gestöhnt." (Und das nur, weil die Mutter die Lokalität der ersten Familien-Auslandsreise  auch nicht mehr weiß...) "'... Aber du musst es doch wissen! Du warst alt genug!' beende ich meinen atemlosen Wortschwall vorwurfsvoll." (An diesem Punkt beäuge ich zum ersten Mal ungläubig den auf dem Cover prangenden roten "Bestseller"-Sticker eines bekannten deutschen Magazins.)

Chronologisch ist nicht immer logisch, das wissen alle Romanleser. Völlig willkürliche Zeitsprünge in einem Reisebericht finde ich aber etwas problematisch, vor allem nachdem die Autorin uns ausführlich an Skiurlaub und Sprachreise teilhaben ließ, um in der Reisereihenfolge ja nichts auszulassen. Ein wenig Spannung kommt immerhin auf, wenn sie zum ersten Mal mit ihrer Freundin eine PKW-Tour nach Südfrankreich unternimmt. Im 5. Kapitel geht es dann nach Australien. Und wieder muss sich der Leser zunächst durch ermüdende Ausführungen quälen und erfährt, wieso die Autorin Reisen schön aber anstrengend findet. Der gewollte Humor ist  nicht immer ganz meiner. Immer noch auf dem Flug nach Australien, springt die Autorin plötzlich zu ihrer noch nicht so lange zurückliegenden Islandreise, weil sie sich beim Menüverzehr in der Businessclass daran erinnert, wie ihr ein Islandpony den Mantel vollgekotzt hat. Und dann ist das Kapitel auch schon zu Ende, nachdem wir auch noch erfahren haben, dass unsere Autorin von ihrem Mann getrennt lebt und darüber traurig ist. Nochmals: Kann mir jemand erklären, wie es so ein Buch in die Spiegel-Bestseller-Liste geschafft hat?

Hier noch eine Kostprobe: "Es ist jedes Mal das Gleiche mit mir: Ich habe keine Zeit, mich zu erholen! Ich koste meine Lebenszeit zum Leben und Erleben aus und habe eine tolle Zeit. Mich im Urlaub auszuruhen, dem süßen Nichtstun hinzugeben, steht nie auf meinem abwechslungsreichen Reiseprogramm. Solange ich genug Energie habe, spicke ich einen kostbaren Urlaubstag mit interessanten Aktivitäten." Da hätte sie vielleicht auch mal einen Schreibkurs belegen können.

Hin und wieder gibt es nette Berichte, zum Beispiel die Schilderung des Besuchs bei den Berggorillas in Ruanda. Die Lektüre wird erträglicher, aber so richtig vom Hocker reißt sie mich immer noch nicht. Ein bisschen spannend verspricht es zu werden, als sie in der Slowakei ganz alleine zu einer Wanderung durch einen Nationalpark aufbricht. Doch schon nach kurzer Zeit kehrt sie um, weil sie Angst hat, sich jenseits der Zivilisation zu verletzen. In Asien wird es dann tatsächlich mal interessant. Und ein kleines bisschen atmosphärisch. Die Begegnung mit den Menschen auf den Philippinen ist eine der wenigen Schilderungen, die ich ausgesprochen gern gelesen habe. Aber mit Sehenswürdigkeiten hat es die Autorin allgemein nicht so. Von ihnen erfahren wir höchstens stichpunktartig etwas in der Kapitel-Abschlussnotiz. Es werden durchaus einige interessante Erlebnisse geschildert, zum Beispiel die unglaubliche Odysse durch die iranischen Botschaften der Länder Usbekistan, Kasachstan, Kirgisien - in dem verzweifelten Versuch, als alleinreisende Frau ein Visum für den Iran zu bekommen. Richtig gut - und damit hatte ich eigentlich nicht mehr gerechnet - ist die Episode, als sie in Afghanistan die Burka ihrer Gastgeberin anprobieren darf. Diese Beschreibung ist außergewöhnlich und Grund genug, zumindest einen zweiten Stern zu vergeben. In Kabul bekommt sie endlich ihr Visum für den Iran. Nur schade, dass es ausgerechnet von der Iran-Reise keinen Bericht gibt - dem Afghanistan-Kapitel lässt sie ungerührt Griechenland folgen.

Einen Reisebericht aus Nordkorea zu lesen, ist natürlich spektakulär, und natürlich ist das eine ganz gruselige Sache. Aber Frau Sedano lästert von Anfang an nur über die schwierigen Bedingungen ab und ärgert sich, dass sie dieses minderwertige Land unbedingt der Vollständigkeit halber abhaken muss, anstatt sich einmal mit behutsamer Neugier auf die heikle Situation einzulassen. So würde mir Reisen auch keinen Spaß machen. Und so faszinierend es ist, einmal einen Blick hinter die Kulissen des nordkoreanischen eisernen Vorhangs zu werfen, so abgeschmackt und unangenehm finde ich die überhebliche Berichterstattung. Zwischendurch gelingt es der Autorin allerdings durchaus, eine beklemmende Spannung zu erzeugen; nicht alles an dem Bericht ist abgeschmackt. Höchst peinlich ist es allerdings, wenn sie anlässlich des billigen Plastikbestecks der nordkoreanischen Fluglinie damit angibt, wie viel hochwertigeres Essbesteck anderer Fluglinien sie schon hat mitgehen lassen. Da fehlen mir die Worte.

Die Filmdreh-Episode mit den beiden tollpatschigen Kameramännern Heinz und Stefan hätte echt Potential zu einer amüsanten Schilderung, vor allem, als die drei in Sierra Leone ohne Drehgenehmigung verhaftet werden; aber anstatt da was Lustiges draus zu machen, schreibt sie viele empörte Ausrufezeichensätze, warum nur?

Insgesamt kann ich leider nicht sagen, dass sich die Lektüre lohnt. Mit etwas Glück findet man zwar hin und wieder ein paar taugliche, atmosphärisch dichte Beschreibungen. Aber die Autorin  beherrscht die Übergänge nicht gut, die Gedankensprünge, die richtige Dosierung von Philosophieren und Schwadronieren ... So war das Lesen eher ein von Durchhalteparolen begleiteter Härtetest. Fassungslos macht mich immer noch der rote Sticker auf der Vorderseite des Buches. Manche Dinge versteh' ich einfach nicht.

Kommentare

katzenminze kommentierte am 14. Dezember 2018 um 10:46

Hihihi, danke für die Warnung. ;D Die Frau klingt äußerst unsympathisch. Und... ich dachte immer Pferde können nicht kotzen?! o.O

Steve Kaminski kommentierte am 30. Dezember 2018 um 09:31

Hmmm.... vielleicht wird es einen zweiten Band geben, in dem die Frage der ersten Auslandsreise ausführlicher geklärt wird? Das scheint mir in diesem offenbar überragenden Werk doch etwas zu kurz gekommen zu sein??? :-)  :-) Und dass die Nordkoreaner kein Essbesteck zustande bringen, bei dem es sich lohnt, dass die Autorin es klaut... Also, äscht, ehj!!