Rezension

2144 - wenn Mensch und Roboter friedlich miteinander leben ...

Autonom - Annalee Newitz

Autonom
von Annalee Newitz

Bewertet mit 5 Sternen

Im Jahr 2144 sind in Kanada Menschen zu beobachten, die sich buchstäblich zu Tode arbeiten, weil sie einfach nicht aufhören können. Nach ersten spektakulären Fällen scheint die Arbeitssucht sich zu einer Epidemie zu entwickeln. Die betroffenen Gehirne zeigen Muster wie sonst erst nach jahrelangem Drogenmissbrauch. Verursacht  wurde der Zustand durch das leistungssteigernde Medikament Zacuity, das auf das Belohnungszentrum wirkt. Da in der nahen Zukunft sich nur wohlhabende Menschen  Medikamente leisten können, fragt sich Jack Chen angesichts dieser Hiobsbotschaft, ob mit ihren illegalen Kopien patentgeschützter Medikamente etwas schiefgelaufen sein kann. Das Zacuity, das sie kopiert hat, war noch nicht zugelassen. Jack (Judith) Chen sieht sich als eine Art Robin-Hood-Figur, die mit illegalem Handel von den Reichen nimmt, um den Armen Medikamente zu beschaffen, die sie sich nicht leisten könnten. Für Jacks Geschäfte  ist der Fall Zacuity eine Katastrophe und stellt sie zudem auf die Seite der verhassten Pharma-Industrie, die sie ihr Leben lang bekämpft hat. Für den Zaxy-Konzern bietet der Fall eine willkommene Gelegenheit, mit Jack endlich die Laus im Pelz loszuwerden.

In einem weiteren Handlungsstrang  tritt in einer Mission in der Afrikanischen Union Paladin auf, ein komplex agierender Spähroboter mit Karbon-Rückenpanzer, der von einem eigenen Bot-Admin gewartet wird. Paladin, der ein menschliches Spenderhirn erhalten hat,  wird mit seinem menschlichen Partner Eliasz  vom Entwickler des kopierten Medikaments auf die Jagd nach Jack geschickt. Die Pharma-Piratin muss nicht nur ihren eigenen Kopf retten, blitzschnell ein Gegenmittel entwickeln, sondern will beweisen, dass nicht ihre Kopie die fatale Wirkung des Zacuity verursacht hat, sondern das Medikament schon vorher suchterzeugend wirkte. Rückblenden führen 25 Jahre  in die Vergangenheit, als Jack bereits als Biotechnologie-Studentin einer Gruppe von Aktivisten angehörte, die die Macht von Pharmakonzernen bekämpften. Auf der Seite der Guten wollte Jack lernen, „biologische Tippfehler“ zu korrigieren.

Analee Newitz schafft in ihrem Roman eine originelle Welt der Zukunft, in der Menschen und Roboter problemlos miteinander leben. Es gibt bereits Wohnviertel, die zum großen Teil von Robotern bewohnt werden. Da Aussehen, Geschlecht und Grad der Autonomie eines Bots veränderbar sind, gelten menschliche Kategorien von homo, bi, trans usw. nicht mehr.  Einige Bots vertreten selbstbewusst die Forderung, dass sie ihr Geschlecht nicht zugeordnet bekommen wollen, sondern selbst wählen. Mit kopflosen Polizei-Bots, bestechlicher Haustechnik und aufgesprühten Fahrbahnen zeigt die Autorin durchaus komische Seiten der nahen Zukunft. Medea, der in einer menschlichen Familie sozialisierte Medizin-Bot, und Dreinull, ein verwaister Kontraktarbeiter, sind darüber hinaus liebenswerte, facettenreiche Nebenfiguren.  Dass Newitz ihren Figuren nicht simpel Funktion und Geschlechtsrolle zuordnet, sondern ihre Leser zunächst genau beobachten müssen, wen sie da beschrieben bekommen, hat mir beim Lesen großen Spaß bereitet. Ob ein Bot über Ironie verfügt oder für seine gesunde Entwicklung verlässliche Familienstrukturen braucht, damit könnte ich mich endlos beschäftigen …