Rezension

4 Sterne für eine traurig-zarte Geschichte über die Zerbrechlichkeit des Lebens

Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte - Rachel Joyce

Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte
von Rachel Joyce

Die Geschichte

Zwei Sekunden können alles verändern. Davon ist der 11-jährige Byron überzeugt. Deshalb beunruhigt es ihn, als sein bester Freund James ihm erzählt, dass dem Jahr zwei Sekunden hinzugefügt werden müssen, weil Zeitrechnung und Erdbewegung nicht mehr im Takt sind.

Nur kurze Zeit später kommt es tatsächlich genau wegen dieser zwei Sekunden zu einem Unfall. Und der löst eine Kette von Ereignissen aus, die das Leben eines der beiden Jungen für immer verändern wird…

 

Meine Meinung

Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte ist eine traurig-zarte Geschichte über die Zerbrechlichkeit des Lebens. Rachel Joyce schildert darin nicht nur die Ereignisse rund um die beiden 11-jährigen Freunde James und Byron im Sommer 1972. Auf einer zweiten Zeitebene geht es auch um das Schicksal von Jim. Dieser Teil der Geschichte spielt in der heutigen Zeit. Jim ist Mitte 50, wohnt in einem Camper am Rande einer Siedlung und jobbt in einem Supermarkt-Café. Er hat einen großen Teil seines Lebens in der Psychiatrie verbracht und leidet immer noch unter Zwängen.

Die Verbindung dieser beiden scheinbar voneinander getrennten Erzählstränge, die sich kapitelweise abwechseln, bleibt fast bis zum Schluss des Buchs verborgen. Und dann überrascht Joyce – wie schon in Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry – mit einer unerwarteten Wendung.

Auch äußerlich ähneln sich die beiden Bücher übrigens – mit ihren schlichten, in hellen Brauntönen gehaltenen Covern und mit der dunkelroten, mit Relieflack hervorgehobenen Schrift. Doch wer einen zweiten Harold erwartet, könnte enttäuscht werden. Für mein Empfinden unterscheiden sich Übersetzung, Schreibstil und Charakterzeichnung zu sehr von der Pilgerreise.

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry hat es damals geschafft, dass ich bereits nach den ersten drei Sätzen mitten in der Geschichte war. Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte machte es mir da zunächst leider deutlich schwerer. Erst nach rund 60 Seiten hatte mich Rachel Joyce am Haken. Zum einen lag es am Übersetzungsstil, über den ich immer wieder gestolpert bin. Maria Andreas hat bereits das erste Buch von Rachel Joyce übersetzt und diese Arbeit fand ich damals sehr gut. Diesmal irritierte sie mich allerdings unerwartet mit umgangssprachlichen Formulierungen und eingestreuten deutschen Dialekten und regional geprägten Begriffen. Zu alledem kam der überraschend andere Schreibstil von Rachel Joyce. Nie zuvor habe ich zwei Bücher ein und derselben Autorin gelesen, die sprachlich so sehr voneinander abweichen. Am schwersten habe ich mich anfangs mit den vielen „ist-wie“-Vergleichen getan, die auf fast jeder Seite zu finden sind, oft mehrere direkt hintereinander („Der Himmel war offen wie eine blaue Schüssel. Lupinen standen da wie bunte Schüreisen…“). Und auch die Charaktere waren mir diesmal nicht so nah, wie beim ersten Buch der Autorin.

Aber je weiter ich las, desto mehr empfand ich diese Distanz zu den Charakteren und auch den für mich so sperrigen Schreibstil als passend. Beides unterstreicht Inhalt und Atmosphäre der Geschichte. Ab der Hälfte des Buches gewinnen die Szenen außerdem immer mehr an Intensität und ich konnte das Buch im letzten Drittel nicht mehr weglegen, weil ich wissen wollte, wie die beiden Erzählstränge schließlich zusammengeführt werden. Das geschah dann für mein Empfinden zwar etwas zu hastig, aber Joyce gibt der Geschichte zum Schluss ein sehr stimmiges Ende. Leise und zerbrechlich, so wie die Geschichte selbst.

 

Fazit

Trotz der gemischten Gefühle: Es ist eine schöne Geschichte. Ich hatte vielleicht etwas zu hohe Erwartungen an sie. Den tiefen Eindruck, den Rachel Joyce bei mir mit ihrem ersten Buch hinterlassen hat, hat Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte zwar nicht ganz erreicht, dennoch mag ich den ganz eigenen Zauber dieser Geschichte. Anders als bei der Pilgerreise nimmt er sich beim Entfalten nur einfach etwas mehr Zeit. 

Kommentare

yvy kommentierte am 19. Dezember 2013 um 18:28

Fio, wie immer sehr gut auf den Punkt gebracht.
Deine gemischten Gefühle und anfänglichen Kritikpunkte kann ich nachvollziehen, wenngleich ich sie in der Form nicht als so störend empfunden habe. Für mich passte alles zur Geschichte.

LG

fio kommentierte am 19. Dezember 2013 um 19:18

Danke! :)

Ich glaube mir ist Harold einfach noch zu sehr im Kopf herumgespukt. Im Ganzen fand ich die Geschichte trotzdem schön und sollte Rachel Joyce irgendwann ein weiteres Buch herausbringen, werde ich es mir definitiv ebenfalls zulegen.

LG,
Fio

yvy kommentierte am 20. Dezember 2013 um 15:07

Ja, das gilt auch für mich. Rachel Joyce packt einen mit ihren Geschichten und lässt einen nicht mehr los und das ist es, was ich mir von guten Büchern wünsche. :-)