Rezension

„50 Shades of Braun“

Mein Vaterland! Warum ich ein Neonazi war - Christian E. Weißgerber

Mein Vaterland! Warum ich ein Neonazi war
von Christian E. Weißgerber

Bewertet mit 4 Sternen

„Mein Vaterland! – Warum ich ein Neonazi war“ von Christian E. Weißgerber ist eine ehrliche Erklärung, ein ehrlicher Versuch des Autors Verständnis in die Welt zu bringen. Herr Weißgeber tut sich anfangs etwas schwer, dennoch erklärt er, dass es bei diesem Werk nicht um eine Entschuldigung geht. Vielmehr möchte er aufzeigen, dass es für ihn eine Entscheidung war den politischen Weg der Radikalisierung zu gehen. Im Laufe der Zeit bekam er diverse Denkanstöße und veränderte seine Denkgewohnheiten – aus diesem Grund ist das vorliegende Buch von ihm geschrieben worden und im orell füssli Verlag erschienen.

Eisenach in Thüringen. Im Jahre 1989 geboren, wuchs der Ich-Erzähler, der in den meisten Fällen namenlos auftritt (wir wissen ja alle wie er heißt), ohne Mutter, aber mit Schwester und verständnisloser Vaterfigur gut. Gespickt mit hohen Absolutionsansprüchen lernt der junge Christian von seinem Vater, dass sich die Menschen einfach durchschauen ließen. Man könne sich die Welt selbst erklären und vertraut dabei am besten nur auf sein eigenes Urteil, denn durch das erhabene Gedankengut wüsste man es ja sowieso besser als die anderen. Eine lieblose Erziehungsmethode versetzte die beiden Kinder eher in den Zustand der Resignation und Ehrfurcht, später in Unverständnis und Hass – zumindest im Falle des Autors. Über dem Verbleib der Schwester ist im weiteren Verlauf des Buches nichts weiter bekannt. Auch im weiteren Bekannten- und Freundeskreis lernt Christian radikale Meinungen, Gedanken der Absolution (Wie sich ein Mann zu verhalten hat. Reines Blut und ein gewisses Geburtsrecht, welches auch etwas über den natürlich angestammten Ort eines Volkes aussagt und vieles mehr.) und eine Treue verpflichtende Kameradschaft kennen, die ihm Gefühle von Halt, Einfluss und Mitbestimmung bringen.

Es liegt also auf der Hand, das eine Prägung im Leben des Autors stattfand, die ihn dazu bewog gewisse Entscheidungen zu treffen und einen Weg einzuschlagen, der ihn als extrovertierten Typen an eine Stelle brachte, an der er lautstark mitmischen wollte. Er lernte unterschiedliche Jugendgruppierungen der Skinhead- und Naziszene kennen, bemerkte Unterschiede in deren Ausprägung und Handlungsweise und entschied sich ebenfalls für ein Standing unter ihnen. Er wollte etwas bewegen. Er wollte seine innere Glaubenshaltung vertreten und kramte nun selbst in der Kiste des Absolutionsdenkens. Frei nach dem Motto, ich habe es so erdacht, es muss so sein und nicht anders.

Herr Weißgerber vermittelte mir mit dem Buch einen Überblick über die „50 Shades of Braun“. Auch die Naziszene machte einen optischen, sowie ideellen Wandel durch, passte sich an die Anforderungen der heutigen Zeit an, um neue Argumente und Überzeugungsmuster zu finden und wurzelt tiefer, als ich bisher immer dachte. Da gibt es zum Beispiel nicht nur die bekannten „Skinheads“, sondern auch sogenannte „Kraken“, „Öko-Nazis“ oder die „Autonomen Nationalisten“ (zu denen sich Christian eine Zeit lang zugehörig fühlt), um nur einige zu nennen. Jede Gruppe zeichnet sich durch wesentliche Merkmale aus und vertritt eigene Erklärungen für ihr „Überlegensein, der nicht an diesem Ort geborenen Mitmenschen“ und anderer politisch motivierter Themen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: „Auf der Suche nach verlorener Zärtlichkeit“ bildet der junge Christian eine autoritäre Persönlichkeit aus, um seine Wut zu kontrollieren und sich Gehör zu verschaffen. Er lernt die Naziszene kennen, erkennt Übereinstimmungen in dessen Gedankengut mit seinem eigenen und arbeitete sich zu einem vaterlandstreuen Aktivisten hoch. Je mehr Wissen sich in ihm vereint, desto mehr lässt Zweifel wachsen in ihm. So einfach ist das jedoch alles nicht. Bis er seinen Standpunkt wirklich hinterfragt vergehen noch einige Jahre...

Ich habe nun ein klareres Bild vor Augen, was den Nationalsozialismus dieser Zeit wachsen lässt und welche Ideen dahinter stecken. Vieles bezieht sich auch auf mythologische Inhalte, Musikbands preisen die Stärken des Werwolfes und huldigen ihre Überlegenheit, Absolutionsdenken greift ein Konstrukt von Zusammenhalt und Gänze auf und das Wissen, man wäre genau richtig – hier, an diesem Ort – gibt einem das Gefühl richtig zu sein, etwas Wahres zu tun.

Einige Gruppen verleugnen die antisemitistischen Handlungen der Vergangenheit.

Aus meiner Sicht geht es hier um verängstigte Kinder, die sich ungerecht behandelt fühlen und deren Blick auf die Welt sie für alles verschließt, was ihnen Linderung und Heilung bringen kann. Sie haben sich dafür entschieden, es nicht zu sehen. Manchmal fiel es mir aufgrund der vielen politischen Begriffe und der Ausdrucksweise schwer das Gelesene sofort gänzlich zu begreifen. Das Buch ist meiner Meinung nach nicht dick (256 Seiten), trotzdem habe ich recht lange gebracht, um alles zu erfassen. Das ein oder andere Mal habe ich Stellen mehrfach gelesen, um den Gehalt dessen (hoffentlich) richtig zu begreifen.

Ich bin dennoch sehr begeistert von dem Buch, da es mir Verständnis gebracht hat. Diese Erde benötigt Verständnis. Von allen Seiten für alle Seiten.

Vielen Dank für deinen Mut und deine Ehrlichkeit, Christian E. Weißgerber. Auf viele der beschriebenen Taten bist du vielleicht nicht mehr stolz. Aber ich denke, du kannst stolz auf dich sein, dass du in der Lage bist, deine Gedanken zu hinterfragen und nach Harmonie und Verständnis zu streben. Du bist über dich hinausgewachsen! Ich ziehe meinen Hut!