Rezension

Abenteuerliche Fahrt zur Jugendliebe

Ziemlich mitgenommen - Mia Sassen

Ziemlich mitgenommen
von Mia Sassen

Bewertet mit 5 Sternen

Isabel ist Synchronsprecherin, bzw. sie war es, denn gerade wurde ihr der Job gekündigt. Sie erzählt es ihrem Mann am Telefon, der gar nicht richtig zuhört.
Als sie ihre Tochter zu einem 100 km entfernten Fußballspiel fährt, streiten sich die beiden im Auto. Zurück kann Isabel allein fahren, denn ihre Tochter möchte mit ihrer Freundin zurück. Sie ist frustriert und tritt den Heimweg an.
Da bleibt zu allem auch noch das Auto stehen. 
Sie stellt sich entnervt an den Straßenrand und hebt den Daumen, in der Hoffnung, dass sie jemand mitnimmt.
Ein Landrover hält, in dem eine ältere Dame sitzt. Sie fährt nach Prag, meinte sie und Isabel steigt ein und fährt mit ...

Viktoria ist 72 Jahre und will mit ihrem Auto bis nach Istanbul. Sie will ihre alte Jugendliebe Can wiedersehen. Es ist jetzt 48 Jahre her, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte und er hat keine Ahnung, dass Viktoria auf dem Weg zu ihm ist.
Isabel will erst nur bis Prag mitfahren und dann zurück nach Hause, aber es kommt alles anders, als man plant.

Isabel und Viktoria sind, obwohl viele Jahre auseinander, ein super Team. Obwohl sie sich vorher nie gesehen haben und auch nicht kannten, machen sich die beiden Frauen auf eine Reise, die ihr Leben komplett verändern wird.

Sie vertrauen einander. Jede der beiden hat eine Geschichte, die sie geprägt hat. Beide sind klamm bei Kasse. Viktoria ist Professorin, lebt aber mit ihrem Geld am Limit, da sie nicht mit Geld umgehen kann. Ihre Rente ist bereits in der Mitte des Monats alle. Als es soweit ist, muss Isabel einspringen. Aber auch sie hat nicht viele Rücklagen und ihren Mann um Geld anzubetteln verbietet ihr ihr Stolz.
Zu allem Unglück wird ihnen auch noch über Nacht das Auto geklaut, so dass sie nur noch das besitzen, was sie am Mann (an der Frau) haben. Das Wichtigste für Viktoria ist ihre Tasche, worin sie u.a. ein Erinnerungsalbum und eine Pistole spazieren führt. Diese lässt sie auch nie aus den Augen.

Trotz der Geldnot und dem fehlenden Auto lassen sich die beiden nicht unterkriegen, sie bleiben dabei, sich auf den Weg nach Istanbul zu machen. Isabel hat Viktoria inzwischen so ins Herz geschlossen, dass sie es nicht übers Herz bekommt, diese allein weiterreisen zu lassen.

Was die beiden auf ihrer Fahrt erleben, ist unglaublich. Sie lernen völlig fremde Menschen kennen, die es mal mehr und mal weniger gut mit ihnen meinen. Sie lernen Freunde kennen. 
Isabel verliebt sich sogar unterwegs und macht mit diesem Mann ein Treffen in Istanbul aus.
Viele Wege führen nach Rom, sagt man, aber auch viele Wege führen nach Istanbul. Es gelingt ihnen nicht, auf direktem Weg dorthin zu gelangen, das Schicksal hat anderes mit ihnen vor.
Egal, ob mit Auto, zu Fuß oder mit dem Boot, immer ist da jemand, der ihnen hilft und sie ein Stück weiter auf den Weg bringt.
Aber es gibt auch Menschen, die es weniger gut mit ihnen meinen. Schließlich müssen sie auch ein Stück unfreiwillig schwimmen, um ans Ziel zu kommen.

Auf ihrem Weg lernen sie nicht nur Land und Leute kennen. Isabel erlebt Situationen, die sie vergleichsweise auch aus Deutschland kannte, bei denen sie aber völlig anders gehandelt hat. Sie überdenkt viele Entscheidungen, die sie bei bestimmten Situationen getroffen hatte, denn in genau derselben Situation ist man ihnen im fremden Land zuvorkommend und hilfsbereit entgegen gekommen.
Ob sie es nach Istanbul schaffen, so ohne Geld und Auto und ob Can noch lebt und gefunden wird, werde ich natürlich nicht verraten.
Das Buch hat viele Überraschungen bereit, positive wie negative.

Der Mut der beiden, sich auf dieses Abenteuer einzulassen, ist unglaublich. Durch ihr Abhauen riskiert Isabel das Zerwürfnis mit Mann und Tochter. 
Viktoria fährt auf blauen Dunst einfach so nach Istanbul, in der Hoffnung, ihren ehemaligen Freund zu finden, nicht wissend, ob er das will und überhaupt noch lebt.
Die Fahrt ist wie eine Achterbahn, ein stetiges Auf und Ab.

Ich habe Isabel und Viktoria in mein Herz geschlossen und ihren Mut und ihre Cleverness bewundert. Wenn sie auch das ein oder andere Mal nicht den legalen Weg beschritten haben, so hatten sie doch meine Sympathie. Die Ideen, die ihnen eingefallen sind, sind genial.

Das Buch war wie ein Überraschungsei, mit Abenteuer, Hoffnung, Liebe und dem Glauben an ein gutes Ende.
Ich habe mit den beiden gelitten, gelacht, gelebt und sie gern auf ihrem Weg begleitet. Das Buch hat mich zum grinsen gebracht, aber auch Tränen vergießen lassen. Ein Buch, wie ich es mag.
Ich hatte viel Vergnügen damit und empfehle es sehr gern weiter.