Rezension

Aber in eine Zeit ohne Gedanken kann man nicht zurück, wenn man einmal angefangen hat, zu denken"

Winter so weit - Peer Martin

Winter so weit
von Peer Martin

~~Inhalt (übernommen)
Calvin, 19, ehemaliger Neonazi, hat durch seine Liebe zu dem syrischen Mädchen Nura gelernt, umzudenken. Er hat seine Clique verlassen, Namen und Identität geändert und den Ausstieg geschafft. Doch er hat Nura verloren. Im Feuer, ganz am Ende, hat er ihr ein Versprechen gegeben: die dreizehnjährige Dschinan aus Syrien herauszuholen. Und er macht sich, zusammen mit Nuras Bruder Kamal, auf den Weg: Gegen alle Vernunft, gegen alle Regeln. Hinein in das Land, aus dem täglich Hunderte von Menschen fliehen. Während Calvins früherer Freund Pascal sich bemüht, Nuras Eltern in Berlin aufzuspüren und zu beseitigen, führt Calvins Weg durch zerstörte Städte und winterliche Berge. Er erlebt Zerstörung und Gewalt, Folter und Tod, doch immer wieder erfährt er auch eine Gastfreundschaft, die ihm neu ist. Als er in die Hände des IS gerät, weiß er, dass er nicht aufgeben wird. Denn nur wenn es ihm gelingt, Dschinan zu finden und zu retten, kann er, auf seine Weise, auch Nura wiederfinden.

Das Buch ist die Fortsetzung von „Sommer unter schwarzen Flügeln“. Es besteht aus zwei Handlungssträngen: Zum einen wird Calvins Reise nach Syrien erzählt, wir dürfen Teil haben an seinen Erlebnissen – positiv wie negativ – und er macht für mich eine totale Wandlung durch. Kennen gelernt als „aufrechten Deutschen“ und überzeugten Nazi hatte ich am Ende nicht das Gefühl einem Solchen 549 Seiten lang gefolgt zu sein.
„Aber in eine Zeit ohne Gedanken, kann man nicht zurück, wenn man einmal angefangen hat, zu denken." Genau dieses Zitat trifft es!
Calvin wurde vom unzufriedenen, wütenden und manchmal ohnmächtigen Teenager durch die Erlebnisse in Syrien zum Mann, der sich durch nicht brechen lässt.

Im zweiten Erzählstrang erfahren wir, wie es mit Nuris Familie weitergegangen ist: Sie sind inzwischen in Berlin und auch dort müssen sie sich Tag täglich gegen rechtes Gedankengut und rechte Anschläge wehren. Die Organisation „Hellersdorf hilft“ – allen voran Nick und Andrea – versuchen, den Neuankömmlingen so gut es geht zu helfen. Nick, selber Syrier und vor 15 Jahren nach Deutschland gekommen, war für mich der einzige Charakter ohne Ecken und Kanten: Er lebte fast schon zu angepasst und hat dabei leider seine Wurzeln vergessen, oder vergessen wollen.

Auch Cindy und Pascal tauchen in Berlin wieder auf: Cindy scheint nach dem Brand im Flüchtlingsheim, in dem Nuri ums Leben gekommen ist, endlich nachzudenken und entwickelt sich von der typischen „Nazi-Braut“ zu einer fast schon sympathischen Figur.
Pascal bedarf keiner Worte.

Der Schreibstil von Peer Martin hat mich auch in diesem Band wieder gefesselt: Eine außergewöhnliche bildhafte, sogar schon teilweise fast poetische Sprache (besonders schön fand ich die Assoziationen mit Farben) hat mich den Hauptprotagonisten nah sein lassen. Ich habe mit ihnen mitgefühlt und mitgelitten.
Auch ein besonderer Humor – besonders der von Calvin - hat das Buch an manchen Stellen aufgelockert.
Nach jedem Kapitel bekommt man Stichworte zur Internet-Recherche, die sehr informativ sind und die Geschichte super ergänzen und die politischen Hintergründe vertiefen. Und die Zitate vor jedem Kapitel haben darauf eingestimmt, wenn sie mich auch sehr oft sprachlos gemacht haben.

Fazit:
Ein wichtiges Buch, das mich wieder einmal sprachlos, nachdenklich und dankbar zurückgelassen hat. Sprachlos, dass es „Sowas“ in der heutigen Zeit wirklich noch gibt, nachdenklich, was man besser machen kann und muss und dankbar, dass ich in einem freien Land wie unserem leben darf.
Lesen, lesen, lesen!!!