Rezension

Absolut aufwühlend

Du wolltest es doch - Louise O'Neill

Du wolltest es doch
von Louise O'Neill

Bewertet mit 5 Sternen

Die achtzehnjährige Emma ist eines der Mädchen, die von vielen anderen beneidet werden, denn sie ist hübsch, beliebt und steht immer und überall, vor allem auch bei den Jungs im Mittelpunkt. Emma genießt diese Aufmerksamkeit und ist nahezu süchtig nach Komplimenten, selbst von Jungs, die bereits eine Freundin haben. Als sie auf einer Party ein wenig über die Stränge schlägt und am nächsten Morgen völlig zerschlagen und derrangiert vor ihrer Haustür von ihrer Mutter gefunden wird, weiß sie zunächst nicht, was los ist. Filmriss, aber einen kompletten Filmriss, denn ab einen bestimmten Moment sind alle Erinnerungen der vergangenen Nacht weg. Erst als sie am Montag zur Schule kommt, kommt ihr der Verdacht, dass etwas ganz gewaltig schief gelaufen ist. Dann entdeckt auch Emma die Facebookseite und die Fotos der Partynacht, auf der sie und mehrere ihrer sogenannten Freunde zu sehen ist. Doch das, was auf den Fotos ist, wollte Emma nicht, nicht so. Aber niemand hat Mitleid mit Emma, denn sie ist es doch selbst Schuld, oder?
Meine Meinung
Puh, ich weiß gar nicht genau, wie und womit ich hier anfangen soll, denn das Buch ist hart, knallhart und Louise O’Neill hat hier auch ganz schön provoziert mit ihren Worten, aber ich glaube, dass sie durchaus auch ihr Ziel erreicht hat, denn es wird diskutiert über das Thema, das Thema Vergewaltigung. Selten habe ich im Vorfeld so viele Meinungen zu einem Buch gelesen, wie zu diesem und auch wenn ich es zunächst gar nicht so sehr auf dem Schirm hatte, wurde ich durch all die anderen Meinungen immer neugieriger und wollte mir schließlich selbst ein Bild machen.
Zu Beginn komme ich erst einmal zum Schreibstil, der vielleicht nicht jedermanns Sache ist, doch der mich hier ganz besonders fesseln konnte. Durch die Worte und die Ich-Perspektive aus der Sicht Emmas war ich hier ganz nah am Geschehen und konnte mit fremden Augen sehen, was geschehen ist und wie wenig man selbst schafft, so etwas zu verarbeiten. Ich fand es doch schon sehr authentisch rübergebracht und habe ein sehr deutliches Bild von Emma erhalten, sowohl bevor sie vergewaltigt wurde als auch danach. Louise O’Neill schildert klar, fast schon nüchtern und direkt, was Sache ist. Emmas Gedanken, oftmals in Klammern dargestellt, was manch einer als störend empfinden könnte, wurden für mich dadurch noch einmal eindringlicher. Diese Wiederholungen die durch Emmas Kopf schießen, fand ich glaubhaft und sehr eindringlich und man sieht, wie die Welt sich plötzlich nicht nur für Emma verändert.
Emma wird hier deutlich vorgestellt, wie sie vor der Vergewaltigung ist. Sie ist nicht unbedingt eine Sympathieträgerin und doch stellt die Autorin damit auch etwas klar: das, was Emma geschehen ist, darf niemanden geschehen, egal wem, egal wer, egal wie sie sich gibt, niemand darf etwas gegen den Willen des anderen tun. Ob sie durch ihre Kleidung provoziert und reitzt oder für manch einen eine direkte Einladung dadurch geben kann, ohne Einwilligung ist es ein Nein.
Ich mochte Emma auch nicht unbedingt, denn immer wieder ist in Emmas Gedanken eines für sie wichtig: sie selbst. Auch wenn sie nach aussen hin sich großzügig gibt und freundlich, ist sie immer auf eines aus: fishing for compliments. Doch mal ganz ehrlich, zeigt dies wirklich nur wie egoistisch Emma ist? Oder ist da tief in ihrem inneren vielleicht auch die unsichere Emma, die zu Hause doch eher im Schatten des großen Bruders steht. Das sie schön ist, hilft ihr nach aussen hin und sie sucht nahezu überall und bei jedem die Bestätigung, doch ist sie dadurch wirklich diese egoistische Person? Emma hat mich ganz schön nachdenklich gemacht und das durchweg. Ich habe versucht, mich in ihre Lage zu versetzen und ich hätte sie gerne verteidigt, da dies wohl niemand wirklich tun möchte.
Alles in allem macht Louise O’Neill mit ihrer Geschichte hier ganz deutlich klar, dass es bei diesem Thema auch heute noch absolut ungerecht zugeht. Hier werden die Opfer- und Täterrollen wieder einmal vertauscht. O’Neill zeigt, wie es sein könnte, wie sehr das Opfer leidet, wie sehr aber auch ihre Familie leidet. Ob ich das Verhalten der Familie billige oder nicht, ist eine andere Sache, ich möchte es inhaltlich auch nicht noch mehr vertiefen, da ich durch meine Meinung schon mehr spoiler, als ich wollte. Alles in allem ist hier so gut wie niemand, dessen Verhalten ich wirklich unterstützt hätte, Conor und auch Emmas Bruder vielleicht, aber wo sind die Freundinnen, die Eltern, ganz besonders die Mutter. Durch all diese Verhalten der anderen, das Mobbing, das Ausgrenzen, die Worte: du wolltest es doch, du hast das herausgefordert, zeigt O’Neill, warum auch heute noch kaum Anzeigen von Opfern erstattet werden.
Mein Fazit
Ich glaube, ich habe zu viel und doch zu wenig in meine Rezension eingebracht, meine Gedanken schlagen nach wie vor Salto, wenn ich über das Gelesene wieder nachdenke. Ich habe Emmas Geschichte erst einmal sacken lassen müssen und finde nach wie vor nicht die richtigen Worte für meine Gedanken. Ich persönlich fand die Worte der Autorin genau richtig gewählt, sie ist schonungslos und direkt und ich hoffe, dass sie mit diesem Buch noch einige Leser erreichen wird.