Rezension

Absolut genial!

Harpyienblut - Daniela Ohms

Harpyienblut
von Daniela Ohms

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt

Lucie ist 18 Jahre alt und könnte ein ganz normales Leben führen. Doch sie ist gezwungen, ihren Körper zu verstecken und ihre Mitmenschen mit immer neuen Lügen auf Abstand zu halten, denn sie wurde mit zwei seltsamen Raubvogelflügeln geboren. Die meiste Zeit über verstecken diese sich in ihrem Rücken und werden von einer engen Binde daran gehintert, herauszukommen. Aber in letzter Zeit scheint Lucie immer öfter die Kontrolle über sie zu verlieren.
Woher stammen die Flügel und wer ist Lucie? Das sind die drängenden Fragen, die das junge Mädchen stetig beschäftigen. Zum Glück ist Lucie nicht ganz so auf sich gestellt, wie sie immer glaubte. In ihrer besten Freundin Emilia und dem eigenbrötlerischen Sergej findet sie wertvolle Verbündete, die ihr Geheimnis bewahren und ihr in dem Alptraum beistehen, der Lucies vorherbestimmt ist. Denn eines Tages kann sie ihre Flügel nicht mehr halten, sodass sie ihre grauenvolle Bestimmung in dieser Welt erkennt: Sie soll die Seelen toter Kinder von ihrem irdischen Dasein befreien und diese durch das Jenseits begleiten.

Rezension

Ich muss der Autorin zuerst einmal einen großen Dank aussprechen, denn beim Lesen dieses Buchs ist mir etwas Entscheidendes aufgefallen. Kleiner Exkurs, damit ihr wisst, das das Schöne an diesem Buch ist: Ich habe schon immer gern Fantastisches und Jugendbücher gelesen. Die magischen Welten und jungen Figuren sprechen mich einfach an. Und natürlich mag ich auch Liebesgeschichten. Dass der Markt also seit Stephanie Meyer überschwemmt wird mit allen möglichen (und unmöglichen) Romantic-Fantasy-Pärchen sollte mir gelegen kommen – das dachte ich auch! Darum war ich immer wieder erstaunt, dass ich es kaum noch schaffe, ein Buch zu Ende zu lesen. Ganz gravierend ist es mit letztens bei “Engels Nacht” von Lauren Kate aufgefallen. Nach gut einem Drittel habe ich das Buch (mal wieder) weggelegt. Abgesehen davon, dass ich es nicht besonders gut geschrieben und die Protagonistin nervig fand (mir fällt grad auf, dass sie auch Lucie hieß!), war der Rest der verbliebenen Spannung einfach weg. Ich hatte den Ort des Geschehens (Highschool-ähnlich) sowie die wichtigsten Figuren kennengelernt und wusste schlechthin welches blablabla mich im weiteren Verlauf wohl erwartet. Nun zum Harpyienblut hier ist das nämlich ganz anders!

Die Geschichte spielt in Berlin. Das finde ich sehr schön, nicht weil ich ein Berlin-Fan bin, sondern weil es ganz erfrischend ist, trotz aller Fantasie in der Geschichte, auch mal einen realen Ankerpunkt zu haben. Der Prolog, in dem Baby-Lucie von ihrer Harpyienmutter (das sollte ja klar sein) ausgebrütet und von ihrer menschlichen Ziehmutter gefunden wird, steigt sehr spannend und bildreich ein. Schon hier wird klar, dass die Sehnsüchte und Gefühle der Figuren eine sehr zentrale Kraft im Buch sein werden. Danach wechselt das anfangs sehr düstere, schwere Setting. Wir lernen Lucie als 18-Jährige kennen. Nicht nur die Flügel sind es, die sie von den anderen Menschen unterscheiden. Lucie hat mit ihnen auch eine Anzahl wertvoller Fähigkeiten. Allerdings wachsen die Probleme mit ihrer Andersartigkeit mit.

Als ob ihr Leben nicht schon kompliziert genug wäre, beginnt Lucie sich zu verwandeln. Das heißt, der nichtmenschliche Teil an ihrem Körper wird größer. Sie wird mehr und mehr zum Vogel, zur Harpyie. Und als solche muss sie eine markabere Aufgabe bewältigen. Die Vorstellung, mal eben Geister zu einem neuen Körper zu bringen, scheint in Zeiten von “Ghost Whisperer” nicht wirklich schlimm, doch in dieser Geschichte schwingt bei jeder Verwandlung das Grauen des Todes mit. Und das kann keine(n) LeserIn kaltlassen. Es ist schon schrecklich, zu lesen, das ein Kind ertrunken ist, doch die Autorin fährt in diesem Zusammenhang auch schwere Geschütze auf, erschütternde Geschichten, die sich auf das Herz legen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Stelle, an der Lucie die Seele eines Jungen bergen muss, der mit seinen Freunden in einem Eisenbahntunnel gesprayt hatte, als ein ICE durchgerauscht ist. Diese Stellen werden nicht ausführlich beschrieben. Im Gegenteil die Autorin bleibt hier sogar eher bei einem ganz sachlichen Nachrichtenstil. Das Grauen liegt gerade darin, was nicht ausgesprochen wird, was sich unser Kopf in diesem Moment zusammenspinnt.

Die anfangs erwähnte Liebesgeschichte gibt es in “Harpyienblut” auch. Allerdings – und das finde ich wirklich super – ist sie nicht der Mittelpunkt der Geschichte. Vielmehr ist sie ein kleiner Rettungsanker – sowohl für Lucie als auch die Leser.

Daniela Ohms Schreibstil ist entspannend unkompliziert. Sie verzichtet größtenteils auf blumige, ausufernde Beschreibungen. Dort, wo doch einmal ausführlichere Darstellungen vorkommen, wirken sie jedoch nicht fehl am Platz, sondern betonen die Textstellen dadurch auf subtile Weise. Während der Geschichte ist man immer ganz nahe bei den Figuren, man weiß die ganze Zeit, was sie bewegt, verwirrt und manchmal sogar lähmt. Ich empfand alle Charaktere – die Anzahl ist recht übersichtlich – als sehr glaubwürdig und gut ausgearbeitet. Keiner von ihnen war langweilig und eindimensional. Im Gegenteil, am Ende hatte ich sogar das Gefühl, noch immer nicht alles über sie zu wissen.

Obwohl dies hier eindeutig ein Fantasyroman ist, wirkt alles, was passiert äußerst real. Das Hauptaugenmerk der Erzählung liegt meiner Meinung nach gar nicht unbedingt auf der Harpyiengeschichte, sondern auf den Charakteren und dem Umgang zwischen ihnen. Allerdings, was wäre Fantasy ohne Fantasy. Man könnte jetzt fürchten, dieser Teil könnte zu kurz kommen. Das ist aber gar nicht so. Die meiste Zeit ist der Leser zwar so unwissend wie Lucie und stolpert mit ihr durch eine Welt, die auf einmal in ihren Grundfesten erschüttert wird, doch hin und wieder bekommen wir einen Erklärungshappen hingeworfen, an dem wir ein Weilchen kauen dürfen. An diesen Stellen flechtet die Autorin sehr schön Mythologisches ein.

Fazit

Mir hat dieses Buch rundum gut gefallen. Die Spannung, die schon ihm Prolog aufgebaut wurde, kann sehr gut gehalten werden. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig und enthält immer wieder kleine Blumen, die den Weg verschönern. Diese sind aber mit Verstand und Herz gesetzt, sodass die Leserschaft nicht in einer Blumenwiese ertrinkt, die vom Eigentlichen ablenkt. Immer wieder ist Mythologisches eingestreut, was der Geschichte eine neue Dimension verleiht.

Allen, die – so wie ich – endlich eine Auszeit von den ewigen Herzschmerz-Fantasy-Pärchen brauchen, aber nicht auf Fantasy (und zwischenmenschliche Beziehungen) verzichten wollen, sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt!