Rezension

Absolut kein "leichtes" Buch...

Der Schrecken verliert sich vor Ort - Monika Held

Der Schrecken verliert sich vor Ort
von Monika Held

Bewertet mit 5 Sternen

Kann es ein Leben nach Auschwitz geben?

„Der Schrecken verliert sich vor Ort“ von Monika Held gehört auf jeden Fall zu meinen Lese-Highlights 2020 und hat ausgesprochen gute Chancen, in meine persönliche ewige „beste-Bücher-Liste“ aufgenommen zu werden!

Nein, es ist absolut kein „leichtes Buch“ und ich glaube, ich habe es auch nur geschafft, weil ich es in einer privaten Leserunde mit vier anderen Menschen gelesen  habe, so konnten wir uns gut austauschen und unsere Gefühle offen aussprechen, so unter dem Motto „geteiltes Leid ist halbes Leid“.

Ja, denn bei einigen der Schilderungen von Heiner über seine Auschwitz-Zeit müssen wir heftig mitleiden – ich dachte, ich würde jetzt bald alle Gräuel-Taten, die die Nationalsozialisten in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern begangen haben, kennen – aber weit gefehlt: der grausamen menschlichen Phantasie sind in den KZs  anscheinend keine  Grenzen gesetzt worden!

Heiner, ein junger Kommunist aus Wien, wird im September 1942 nach Auschwitz deportiert, aus seinem Transport von 1860 Menschen haben nur vier überlebt... Hinzu kommt, dass Heiner sein eigenes Todesurteil in der Tasche trägt: auf seinem Schutzhaftbefehl steht R.U., dass dies Kürzel „Rückkehr unerwünscht“ bedeutet, erfährt Heiner erst später,,, Aber Heiner überlebt Auschwitz, weil er Zeuge sein wollte, dieses Ziel ganz fest vor Augen rettet gewissermaßen sein Leben. Er wird auch in einem wichtigen Auschwitz-Prozess als Zeuge geladen, aber nach dem Urteil bleibt eine Leere: „Er hatte das Lager überlebt – wo war der Sinn? Die Täter waren verurteilt, saßen ihre Strafen ab ohne Reue, ohne Einsicht, ohne Schock über das, was sie getan hatten.“ (S.83)

Bei diesem Prozess lernt er die die junge Deutsche Lena kennen. Lena und Heiner verlieben sich, heiraten. Aber im gemeinsamen Leben zeigen sich immer wieder Stolperfallen, Worte, Gerüche, Erinnerungen. Lena drückt es so aus: „Er besteht aus einem Leitmotiv mit endlosen Varianten. (…) Er sieht einen Backsteinschornstein und sagt: Schau, Lena, Birkenau (…) Weißt Du, wie oft das Wort Rampe im Alltag vorkommt? Die Post hat eine Rampe, die Bahn hat eine Rampe, jedes Warenhaus hat eine Rampe und Heiner denkt nur an die eine. Du kaufst dir einen schönen Mantel und was sagt er: Schau, Lena, der Markenname ist Selection. Nichts ist ohne doppelten Boden und an jeder Ecke warten Erinnerungen.“ (S.93)

Aber Lena und Heiner arbeiten an ihrer Liebe und schaffen es, sie sich zu erhalten, wir erleben die Silberhochzeit mit. Wichtiger noch, sie schaffen es - zumindest ansatzweise - Ruhe für den stark traumatisierten Heiner zu finden (wobei ich – ehrlich gesagt – den Eindruck hatte, dass Lena den schwierigeren Teil hatte... Aber: darf ich das überhaupt denken?). Das Buch ist auch eine wunderschöne Liebesgeschichte, ohne auch nur andeutungsweise jemals kitschig zu werden. Es ist das Ringen zweier Menschen mit vollkommen unterschiedlichen Erinnerungen für ein gemeinsames Leben.

Ein weiterer Aspekt hat mich in dem Buch auch beschäftigt: anhand einer Reise nach Polen in den frühen 80-er Jahren lässt die Autorin die damalige Situation bildhaft aufleben: der Streik von über 700.000 Menschen, Solidarnosc, Kriegsrecht, Karol Wojtyla besucht als Papst Johannes Paul II seine Heimat, der Widerstand, die Aufbruchsstimmung – durch die Augen von Lena und Heiner sind wir dabei – der Mut der Polen hat mich beeindruckt!

Dieses Buch hat eine Vielzahl von Emotionen bei mir ausgelöst: Angst, Erschrecken, Trauer, Wut, Mitleid, Rührung, Verständnis und Unverständnis– ich habe geweint, aber an einigen Stellen auch geschmunzelt. Mit wenigen Worten konnte Frau Held so vieles ausdrücken!

Wie eingangs gesagt: für mich persönlich ein ganz wichtiges Buch, ein „Buch gegen das Vergessen“, ein Buch, dass ich ganz dringend weiterempfehlen muss!