Rezension

Absolut lesens- und wissenswert!

Afropäisch -

Afropäisch
von Johny Pitts

Schon gewusst? Alexandre Dumas war Afropäer. Sein Namensvetter Alexander Puschkin ebenso. Aber was ist überhaupt ein "Afropäer"? Ein Mensch, der sich als Europäer versteht und Wurzeln in Afrika hat. Die beiden Beispiele sind dabei nur die Speerspitze, denn in Europa leben mittlerweile unzählige Nachfahren von Afrikanern. Dass dieses Leben leider meist ungewollt getrennt von anderen Bevölkerungsanteilen in fernen Satelliten-Städten unter schlimmsten sozio-ökonomischen Bedingungen stattfinden muss, ist Folge einer massiven Fehlplanung vieler ehemaliger Kolonialmächte, die bis heute mit ihrem Erbe mehr schlecht als recht umgehen. Den Folgen des schrecklichen Kolonialismus geht Johny Pitts in seiner sehr persönlichen Reisereportage nach.

Pitts, Journalist und Fotograf, geboren als Kind eines Afroamerikaners und einer weißen Arbeiterin in Sheffield, Großbritannien, macht sich auf zu einer Spurensuche. Nicht der eigenen Wurzeln, sondern er sucht die Spuren von anderen Afropäern im heutigen Europa. Er begibt sich auf eine fünfmonatige Reise von seinem Geburtsort nach Paris, Brüssel, Amsterdam, Berlin, Stockholm, Moskau über Marseille bis nach Lissabon, um dort persönlich das afropäische Leben kennenzulernen. In seiner literarisch auf höchstem Niveau verfassten Reportage beleuchtet er dabei nicht nur persönliche Begegnungen sondern legt anschaulich die Kolonialgeschichten bzw. -verbindungen der einzelnen bereisten Länder dar und leitet schlüssig mit soziologischen Zusammenhängen her, warum afropäisches Leben immer noch und immer mehr getrennt von weißen Europäern stattfindet. Sehr passend fasst Pitts zusammen: "Ich reiste im Namen derer, die nicht reisen konnten oder wollten: der Community schwarzer Arbeiter und Kinder von Immigranten, und machte mich auf die Suche nach einem Europa, das sie und ich womöglich als unser eigenes erkennen könnten. So kam es, dass ich mich als ein extrem selterner Vogel auf den Weg machte: als schwarzer Backpacker."

So verbindet Pitts die verschiedenen Menschen und Lokalitäten des schwarzen Europa in einem einzigen Narrativ und verschafft jedem Gebiet und jeder Community die Möglichkeit, zueinander zu "sprechen". Dabei lernt man als weiße/r Mitteleuropäer/in unglaublich viel zu den unzähligen, gewollt unerzählten Geschichten der genannten Städte und Länder. Die Geschichte wird ja von den Siegern erzählt und, wenn man die Reiseabteilung in einer beliebigen Buchhandlung studiert, von den Nachkommen der Sieger geschrieben. Pitts beleuchtet so viele unge(be-)schriebene historische Geschehnisse und erweitert den Horizont bezüglich unzähliger literarischer Werke aus der Feder afrikanischer, afroamerikanischer und afropäischer Schriftsteller*innen. All dies wirkt nie llehrbuchhaft oder trocken. Immer nimmt der die Lesenden mit auf seine Reise des Erkenntnisgewinns. Dabei irrt er auch, korregiert sich bezüglich seiner Ansichten zu ersten Eindrücken und macht die Lektüre immer authentisch.

In diese Reportage bin ich versunken und habe die Informationen eingesogen, werde weitere Recherchen anstellen und bin tief bewegt von den Schilderungen des Autors. Ein uneingeschränkt empfehlenswertes Werk, welches hoffentlich viele Menschen erreichen wird und ihnen damit die Augen öffnen kann.