Rezension

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Absolute Leseempfehlung

Mein Herz und andere schwarze Löcher - Jasmine  Warga

Mein Herz und andere schwarze Löcher
von Jasmine Warga

Bewertet mit 5 Sternen

Aysel ist ein 16jähriges amerikanisches Mädchen mit türkischen Wurzeln. Sie will nicht mehr leben, weil ihr Vater vor einigen Jahren einen Jungen erschlagen hat und deswegen im Gefängnis sitzt. Sie lebt jetzt bei ihrer Mutter und deren neuer Familie, sprich Stiefvater und zwei Halbgeschwister. Seit der Tat ihres Vaters fühlt sie sich total allein. Von ihren Mitschülern wird sie ausgegrenzt; hinter ihrem Rücken wird getuschelt. In einem Internet-Selbstmord-Forum lernt sie Roman kennen. Auch er leidet unter einem schweren Schicksalsschlag: er fühlt sich verantwortlich für den Tod seiner kleinen Schwester. Beide beschließen, zusammen zu sterben; am Todestag von Romans Schwester. Doch dann passiert etwas, womit sie beide nicht gerechnet haben: sie verlieben sich ineinander. Und Aysel ist sich gar nicht mehr so sicher, dass sie wirklich sterben will...

 

Das Buch hat mir wirklich außerordentlich gut gefallen. Es ist nicht eine dieser üblichen Teenie-Liebesgeschichten, sondern wesentlich vielschichtiger. Es ist in der Ich-Form aus Aysels Sicht geschrieben, so dass der Leser sich sehr gut mit ihr identifizieren und tief in ihr Seelenleben eintauchen kann. Man kann sehr gut nachvollziehen, woher diese tiefe Traurigkeit in ihr kommt. Sie selbst vergleicht ihre Depression mit einer schwarzen Qualle, die in ihr wohnt und sämtliche Glücksgefühle und alle guten Gedanken auffrisst. Außerdem befürchtet sie, dass auch in ihr das Böse lebt, vererbt von ihrem Vater.

 

Zwischen ihr und ihrem Vater herrschte einst eine tiefe Verbundenheit. Sie lebte nach der Scheidung ihrer Eltern hauptsächlich bei ihm. Er lehrte sie u.a., die klassische Musik zu lieben. Umso mehr fühlt sie sich von ihm im Stich gelassen. Bei ihrer „neuen“ Familie fühlt sie sich total allein und baut unbewusst eine hohe Mauer um sich herum auf. Dabei nimmt sie die Liebe ihrer Schwester und ihrer Mutter anfangs gar nicht wahr, sondern empfindet eigentlich das genaue Gegenteil, nämlich, dass sie allen gleichgültig wäre.

 

Auch Roman ist sehr tiefgründig beschrieben. Er kann sich nicht verzeihen, dass seine kleine Schwester in der Badewanne ertrunken ist, während er mit seiner damaligen Freundin in seinem Zimmer herumgeknutscht hat. Und er findet es absolut logisch, sich an ihrem Todestag umzubringen. Im Internet-Selbstmord-Forum benutzt er den Nickname „FrozenRobot“, was tief auf sein Gefühlsleben schließen lässt. Seine Gefühle sind wie eingefroren, und er lebt sein Leben mechanisch wie ein Roboter. Seine Mutter sorgt sich sehr um ihn und liebt ihn über alle Maßen. Doch er meint, diese Liebe nicht zu verdienen und ist tatsächlich der Auffassung, dass sein Selbstmord auch das Beste für sie wäre. Er begreift gar nicht, was er ihr damit antun würde.

 

Doch dann beginnt diese bittersüsse Liebesgeschichte zwischen Aysel und Roman...

Es gibt kein richtiges Happy End in diesem Buch. Das hätte aber auch nicht wirklich zu dieser Geschichte gepasst. Die Katastrophe ist zwar erst einmal abgewendet, aber die Gefahr, in der insbesondere Roman noch schwebt, ist weiterhin latent vorhanden.

Dieses Buch ist ein absolutes Plädoyer für das Leben. Das zeigt auch das Nachwort der Autorin, die selbst einen guten Freund verloren hat. Und dazu passt auch das Buchcover sehr gut mit seinen fröhlichen Farbtupfern.

 

Einen kleinen Kritikpunkt habe ich allerdings noch: man erfährt m.E. zu wenig über die Tat des Vaters und dessen Beweggründe. Mich hätte das schon sehr interessiert; allein, um Aysel noch besser verstehen zu können. Und Aysel schafft es leider auch nicht, ihren Vater zu besuchen, bevor die Geschichte endet. Ein Wiedersehen zwischen den beiden hätte ich auch sehr spannend gefunden. Aber das Hauptaugenmerk in diesem Buch liegt halt auf Aysel; insofern kann ich verstehen, dass die Figur des Vaters etwas im Hintergrund bleibt.

 

Aber das hindert mich nicht daran, eine absolute Leseempfehlung für dieses Buch abzugeben. Es ist traurig, aber dann auch wieder hoffnungsvoll und fast heiter. Wirklich eine tolle Geschichte!