Rezension

Abstecher nach Weißrussland

Der ehemalige Sohn -

Der ehemalige Sohn
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 5 Sternen

Franzisk lebt bei seiner Großmutter Elvira, die nur das Beste für ihn will. Als ganz normaler Jugendlicher ist ihm das Fußballspiel mit Freunden wichtiger als das ständige Üben für die Schule. Eines Tages verabredet er sich für ein Konzert, bei dem ein Gewitterregen eine Massenpanik auslöst. 54 Tote sind zu beklagen, Franzisk hat Glück gehabt und ist „nur“ ins Koma gefallen.

 

Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein weißrussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satire-Show und Fernsehmoderator. ›Der ehemalige Sohn‹ ist nach ›Rote Kreuze‹ sein zweiter Roman, der auf Deutsch erscheint. Sasha Filipenko ist leidenschaftlicher Fußballfan und lebt in St. Petersburg.

 

Sein Roman beginnt ruhig und macht uns mit 16jährigen Jungs bekannt. Erst nach dem Unglück entwickelte der Roman für mich einen regelrechten Sog. Während die Ärzte am liebsten die lebenserhaltenden Maßnahmen abbrechen würden, kämpft die Großmutter, die sonst niemanden hat, um Zisks Weiterleben. Sie ist überzeugt, dass er wieder aufwachen wird. Unterstützt von seinem Freund Stassik erklärt sie dem Enkel jeden Tag die Welt, so dass auch wir Leser einen Überblick erhalten.

Nach zehn Jahren erfüllt sich die Weissagung der Großmutter und Zisk wacht wieder auf. Dass er relativ schnell wieder wie ein Gesunder am Leben teilhat, ist vielleicht ein Kritikpunkt, aber nur so ist es möglich, die Spannung weiter aufrecht zu erhalten. Fast ausschließlich von Egoisten umgeben, ist es nicht so einfach für ihn, sich in der Realität wieder zurechtzufinden.

Nun ändert sich die Erzählweise des Autors. Sind mir schon vorher Spitzen aufgefallen wie:

„In der Stadt der mittelmäßigen Architekten regnete es. Die Dächer und Kirchturmspitzen wurden nass. Es änderten sich die politischen,ökologischen und futtertechnischen Bedingungen. Die Vögel flogen fort. Ohne Visum und Stempel im Pass. Alle aufs Mal, nach vorheriger Absprache“

erfuhr ich nun, wie sich die Ärzte über die Zweisprachigkeit des Kranken lustig machten:

Sie „waren sich beim Grasrauchen im Ärztezimmer einig, dass Franzisk im Gegensatz zum Präsidenten alle Chancen habe, eines Tages wieder grammatikalisch richtig zu sprechen.“

 

Der Autor, der im weiteren Kontext das Koma als Allegorie auf das Land nimmt, hat seine Kritik an den Zuständen in Weißrussland in unterhaltsame Worte gepackt. Ich hatte das Glück, diesen Roman ohne viel Vorkenntnisse in die Hand zu bekommen und konnte mich so von den Wendungen überraschen lassen. Auf jeden Fall lohnt sich diese Lektüre, die uns die Nachrichten über Weißrussland so bildhaft näher bringt.

Schon „Rote Kreuze“, der erste ins Deutsche übersetzte Roman des Autors, hat mich beeindruckt, doch dieser hat mich nach den einführenden Seiten nicht mehr losgelassen, was sicher auch ein Verdienst der Übersetzerin ist.