Rezension

Absurd

Das eiserne Herz des Charlie Berg - Sebastian Stuertz

Das eiserne Herz des Charlie Berg
von Sebastian Stuertz

Bewertet mit 4 Sternen

Die Geschichte ist so absurd – vom Anfang bis Ende, dass man als Leser nur den Kopf schütteln kann und lachen.

Die Geschichte ist absurd – vom Anfang bis Ende. Die Geschehnisse und Personen sind so ungewöhnlich und unwahrscheinlich,  dass man als Leser nur den Kopf schütteln kann; den Kopf schütteln und lachen. Denn diesem ganzen Irrsinn wohnt ein eigener Humor inne, der einen über Situationen lachen lässt, alleine ihrer Formulierung und ihrer Irrealität wegen. Selbst wenn das Geschehen eigentlich bitter ernst ist.

So beginnt das Buch mit einer Jagd: Charlie Berg möchte gemeinsam mit seinen Opa einen Hirsch erlegen. Doch kurz bevor Charlie abdrückt, spricht der Hirsch in seinem Kopf zu ihm und warnt ihn davor abzudrücken. Wer ihn, den Hirschen, erschießt, werde ebenfalls sterben. Also zielt Charlie daneben. Gleichzeitig mit seinem Schuss wird ein weiteres Gewehr abgefeuert: Ein Wilderer hat auf den Hirschen geschossen, während Charlie aus Versehen den Wilderer erwischt. Nun will sein Opa dem Hirsch einen letzten Todesschuss versetzten. Währenddessen zielt der Wilderer auf seinen Opa. Am Ende ist es wie der Hirsch prophezeite: alle sind tot – Hirsch, Opa und Wilderer. Und Charlie steht dazwischen und hat keine Ahnung, wie er diesem Chaos Herr werden soll. Er versucht es mit einer Mischung aus Lüge und Wahrheit und landet immer wieder in neuen absurden Situationen.

Dazu kommen noch Probleme mit der eigenen hochkomplizierten Künstlerfamilie, mit der Videobrieffreundin und heimlichen Liebe aus Mexiko, mit einem One-Night-Stand und mit dem sexbesessenen besten Freund. Das sorgt in dem Buch für eine spannende, abwechslungsreiche Mischung: ein bisschen Krimi, ein bisschen Liebensschnulze, etwas mehr Komödie und viel Lebensgeschichte. Dabei ist das Buch immer schonungslos ehrlich und hat durchaus auch ernste Seiten, die zwischen dem ganzen Irrsinn herauslugen und tiefgründige Gefühle, schwierige Entscheidungen und Beziehungen thematisieren. Dabei wird von jedem Geschehen ausführlich berichtet – selbst wenn man als Leser vielleicht lieber mit etwas mehr Abstand und weniger detailliert davon erfahren hätte. In dieser Ausführlichkeit liegt auch der Grund für die über 700 Seiten des Buches. Meine Meinung darüber, ob das Buch wirklich so dick sein musste, schwankte während des Lesens beständig zwischen Ja und Nein.

Durch das Genrepatchwork und Kuriositätenkabinett aus Witz und Ernst leiten einige roten Fäden, die das Buch zu einer Einheit machen und den Leser an die Hand nehmen. Ein solcher roter Faden ist der Hirsch. Er taucht immer wieder auf, als Jagdbeute, als Emblem, aber vor allem auch als Gulasch. Beim Verspeisen des Hirschgulasches kommt die Familie immer vor und nach einer Reisezusammen und erzählt Geschichten. So wird im Laufe des Buches sehr viel Gulasch gegessen und Geschichten erzählt. Darüber hinaus gibt es noch mehr Fäden, die durch das Buch leiten. Sie tauchen immer wieder auf und rufen dem Leser bereits Gelesenes wieder in Erinnerung und werden immer wieder in einen neuen Kontext gesetzt. Daran merkt man, dass der Autor seine Erzählung durchdacht hat. Er hat Parallelen aufgebaut, Absurdität und Ernst gekonnt gemischt. Lediglich am Ende enttäuscht er mich. Er lässt manche Erzählstränge einfach ins Leere laufen, liefert dem Leser kein Ende und keine Erklärung für viele Aspekte der Geschichte. Das ist schade. Ob das Buch nun knapp über 700 Seiten hat oder gut über 700 Seiten, wäre mir dann auch egal gewesen, wenn ich dafür Antworten auf alle offenen Fragen bekommen hätte – selbst wenn sie wieder einmal sehr absurd ausgefallen wären.