Rezension

Abtauchen in die "Geschichte"

Der Teufel von New York - Lyndsay Faye

Der Teufel von New York
von Lyndsay Faye

Bewertet mit 4.5 Sternen

4,5 von 5 Sternchen

"Wenn nur genügend schreckliche Dinge vorgefallen waren, fühlte es sich nicht mehr ganz so schrecklich an, sie selbst zu tun." S. 429

Klappentext

New York 1845. Die gerade gegründete Polizei der Stadt ist ein zusammengewürfelter Haufen von Schlägertypen und seltsamen Vögeln. Auch Timothy Wilde gehört dazu - gegen seinen Willen. Bei einem Brand wurden seine Zukunftspläne zerstört, sodass er jetzt jede Arbeit annehmen muss, die sich bietet. Eines Tages läuft ihm ein völlig verstörtes kleines Mädchen in die Arme, bekleidet mit einem blutdurchtränkten Nachthemd. Sie will oder kann nicht sagen, wer sie ist. Da sie selbst körperlich unverletzt ist, muss das Blut von einer anderen Person stammen. Kurz darauf findet Tim auf einem entlegenen Gelände neunzehn Kinderleichen. Es kursieren die wildesten Gerüchte, und die politische Situation ist bis zum Zerreißen angespannt …

Meine Meinung

Man merkt, dass die Autorin die Sprache liebt und oft verschlungene Wege findet, um sich auszudrücken. Hier kann man wirklich richtig eintauchen, weil sie sehr gut die ganze Szenerie dieser Zeit, die Menschen, ihre Gefühle, die Stadt, das alles sehr intensiv und atmosphärisch dicht beschreibt. Dieses Buch muss man sich auf der Zunge zergehen und sich wirklich Zeit lassen, denn gerade der Schreibstil macht dieses Buch zu etwas besonderem.
Das Ganze hat ein sehr gediegenes Tempo, bevor die eigentliche Handlung, die Aufklärung der Verbrechen, beginnt. Erst einmal wird der Schauplatz und die Charaktere aufgezeigt, inmitten des Geschehens in New York im Jahre 1845. Man muss sich also durch knapp 100 Seiten in die tieferen Schichten dieser Metropole lesen, was sich für mich auf jeden Fall gelohnt hat.
Die Morde selbst stehen teilweise eher im Hintergrund, was mich aber nicht gestört hat.

Man fühlt sich wirklich in diese Zeit versetzt und taucht völlig in diese ausladende Sprache ein, die die Autorin meisterhaft zu verwenden versteht. Man sieht, man riecht, man fühlt mit den Figuren mit, die in diesen schwierigen Zeiten nur eines versuchen, so gut es geht am Leben zu bleiben.

Der Protagonist Timothy Wilde ist ein sehr eigenwilliger Charakter, der sehr genau weiß, was er im Leben will - doch was ist jemals einfach? Ein großes Feuer zerstört seine gesamte Lebensgrundlage und die neue Arbeit, die ihm sein Bruder Valentine verschafft, ist nicht wirklich das, was er erwartet hat. Schneller als er ahnt merkt er allerdings, das er für diesen Beruf geradezu prädestiniert ist und gerade durch den langen Vorspann kann man sich sehr gut in ihn hinein versetzen und verfolgt gespannt, wie aus dem lässigen Barkeeper ein durchsetzungsfähiger, umsichtiger und vor allem auch unbeirrter Sucher nach der Wahrheit wird, die ihm keine Ruhe mehr zu lassen scheint. Seine Entwicklung und das Zusammenspiel mit den anderen Charakteren ist sehr menschlich und hat mich gefesselt.
Auch Valentine, sein Bruder sowie auch die anderen Figuren sind sehr greibar beschrieben und vor allem Mr Piest hat sich hier in mein Herz geschlichen.

Das New York der damaligen Zeit ist sehr lebendig und überzeugend beschrieben. Zusammen mit Timothy Wilde durchforstet man düstere Gegenden und lernt die grausamen Zustände kennen, mit denen die Menschen und vor allem die Kinder haben aufwachsen müssen. Die verqueren Ansichten über Politik und Glauben in Bezug der Einwanderer aus Irland sowie viele dunkle Geheimnisse sind in der ganzen Stadt wie Kloaken verteilt und kriechen mit ihrem Gestank bis in den letzten Winkel.
Einige Ausdrücke der alten "Gossensprache" sind in den Text eingeflossen, die die Übersetzerin aus den Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts übernommen hat. Die meisten Bedeutungen ergeben sich aus dem Text, für die anderen gibt es im Anhang ein kleines "Glossar der Gaunersprache". Auch wenn die Autorin damit noch mehr den Bezug zu dieser vergangenen Epoche herstellen wollte, hätte sie es sich meinetwegen sparen können.

Fazit

Durch die bildhafte, dicht gesponnene Sprache entsteht ein sehr eindringliches Bild einer stimmungsvollen Atmosphäre, derer ich mich kaum entziehen konnte. Das New York des 19. Jahrhunderts ist für mich lebendig geworden, mit all seinen Licht- und vor allem den Schattenseiten. Ein sehr gelungener Auftakt für alle, die sich beim Lesen auch mal Zeit lassen können, um wahrhaftig in die "Geschichte" einzutauchen.

© Aleshanee

Weltenwanderer