Rezension

Abwechslungsreicher und mitreißender Psychothriller, der durch seine durchweg düstere Atmosphäre brilliert.

ESCAPE - Wenn die Angst dich einholt - Nina Laurin

ESCAPE - Wenn die Angst dich einholt
von Nina Laurin

Der Psychothriller bezeichnet per definitionem ein Subgenre des Literaturgenres Thriller. Von seiner Übergattung unterscheidet er sich insofern, dass der sich zwischen den Hauptfiguren entfaltende Konflikt „eher geistig oder emotional als physisch“ ist. Im April vergangenen Jahres erschien im Knaur-Verlag der Debütroman der kanadischen Autorin Nina Laurin, der auf Deutsch den sperrigen Titel „Escape – Wenn die Angst dich einholt“ trägt. Welche Charakteristika das vorliegende Werk seiner auf dem Cover prangenden Gattung erfüllt und ob die Lektüre der aufzuwendenden Lesezeit würdig ist, das erfährst du in der folgenden Rezension.

 

Bereits in den ersten Kapiteln, in denen sich die vielschichtige Handlung wie ein gigantischer Schmetterling seine gewaltigen Flügel entfaltet, stellt Laurin eindrücklich unter Beweis, dass sie schreiben kann. Dabei legt sie eine ununterbrochen, ja, fast penetrant permanent düstere Atmosphäre an den Tag und labt sich in der morbiden Neugierde ihres Lesepublikums.

 

Leider ist es bei Psychothrillern der Fall, dass oft als Mittel zum Zweck kühle Distanz zwischen Leser und Figuren herrscht. Diesen Eindruck habe ich in dieser Lektüre nicht. Die personale Ich-Erzählperspektive ermöglicht uns einen intensiven Blick in das Innenleben der Protagonistin, die mit den emotionalen Auswirkungen ihrer Vergangenheit zu kämpfen hat und sich gleichzeitig der aktuellen Bedrohung ausgesetzt fühlt. Da benötigt es nicht einmal ein Übermaß an Empathie; man kann im Anbetracht der ernsten Lage nur bruchstückhaft nachempfinden, wie es der Hauptfigur ergehen muss. Einige zu impulsiv getroffene Entscheidungen, die jeglicher Logik entbehren, werfen mich jedoch teilweise aus dem spannenden Trip heraus.

 

Wenn ich behaupte, das vorliegende Buch ist ein wahres Suchtmittel, dann stimmt das hier auf zweierlei Ebenen – die Protagonistin verliert sich im Verlauf der Handlung immer mehr in ihrem Trip, den sie als Fluchtweg aus der schrecklichen Realität aufsucht, aber auch das Lesen der Lektüre gleicht einer Droge, der man nicht entziehen kann. Zahlreiche, unvorhergesehene Plot-Twists, die geschickt in die Geschichtenstränge eingewoben sind, garantieren ein abwechslungsreiches Lesevergnügen, bei dem man als Genre-Fan auf seine vollen Kosten kommt.

 

Die wenigen Nebenfiguren, die in dem Handlungsgebilde integriert werden, erfahren nötige emotionale Tiefe und Glaubwürdigkeit, als dass sie beim Fortschreiten der Geschichte ihren rechtmäßigen Teil leisten und nicht hinderlich sind. Jedoch bleiben einige Motivationen und Beweggründe zu sehr im Hintergrund. Einen größeren Fokus auf die Figuren „außerhalb des Scheinwerferkegels“ und mehr Erzählzeit zum Ausarbeiten dieser, so wie es bei der Protagonistin einwandfrei funktioniert, wäre definitiv wünschenswert gewesen.

 

Schön finde ich, beobachten zu können, wie sich das Werk von Kapitel zu Kapitel in seiner Dramatik, Bedrohlichkeit, Dynamik steigert. Man versinkt wie die Protagonistin in den unendlichen Weiten des Wahnsinns und wird sog-artig in die Tiefe der kippenden Handlung gezogen. Eine leicht überraschende und zufriedenstellende Auflösung beendet ein atmosphärisches Lesevergnügen der Bestklasse.

 

„Escape – Wenn die Angst dich einholt“ kann alles einhalten, was der Klappentext verspricht. Es ist ein abwechslungsreicher und mitreißender Psychothriller, der durch seine durchweg düstere Atmosphäre brilliert.

 

Durch einige Schwächen, die das ansonsten makellose Erscheinungsbild des Werks trüben, vergebe ich hier sehr gute vier von fünf möglichen Sternen, mit deutlicher Tendenz nach oben.