Rezension

Adamsberg auf Abwegen

Der Zorn der Einsiedlerin - Fred Vargas

Der Zorn der Einsiedlerin
von Fred Vargas

Bewertet mit 3 Sternen

Um damit gleich zu beginnen, ich liebe die Krimis von Fred Vargas und sie stehen ausnahmslos alle in meiner Bibliothek. Ich mag die Art, wie Kommissar Adamsbergs mäandernde Gedanken mich zwingen mein Lesetempo herunterzufahren, damit ich nichts Entscheidendes verpasse; ich mag es, wie die Realität an den Rändern verschwimmt, um dem Unwahrscheinlichen Raum zu geben; ich mag Vargas' ungewöhnliche Ideen, den häufigen geschichtlichen Bezug, bei dem ich immer auch etwas lerne. Daher musste der neue Roman auch am Tag des Erscheinens bei mir einziehen.
Doch ich muss gestehen, ich bin enttäuscht. So wie Adamsberg kurz vor einem Burn-out zu stehen scheint, scheint auch seiner Autorin die Luft auszugehen. Gerade das Privatleben des Kommissars, sein Sohn, seine verlorene Liebe waren der Gegenpol zu den bizarren Fällen, machten Adamsberg menschlich. Das Alles fehlt in diesem Band zur Gänze. Nun ist er nur noch unfehlbarer Ermittler, der seine Kollegen in den Wahnsinn treibt, Kollegen, die übrigens auch von lebendigen Charakteren zu Schablonen erstarrt zu sein scheinen. Man verstehe mich nicht falsch, Vargas komponiert und formuliert nach wie vor fabelhaft, aber es wirkt eher mühselig als leichtfüssig. Ich glaube, eine etwas weniger außergewöhnliche Ermittlung und etwas mehr Konzentration auf die Entwicklung der Charaktere könnte dem Ganzen gut tun.
Der Hauptfall ist so ungewöhnlich, wie man es von der Autorin gewohnt ist. Es geht um Spinnenbisse und Einsiedlerinnen, um Vergeltung und Missbrauch. Und auch, wenn ich diesen Band deutlich schlechter im Vergleich zu den anderen fand, habe ich ihn an einem Tag gelesen. 506 Seiten. Unansprechbar für die Aussenwelt. Was nur zeigt, dass auch ein mittelprächtiger Vargas immer noch deutlich besser ist als neunzig Prozent aller anderen Krimis. Und nun bleibt mir nur zu hoffen, dass der nächste Band wieder besser gelingt und Fred Vargas wieder zurückfindet zu ihrer wunderbaren Truppe, die sich ja dadurch ausgezeichnet hat, dass sie eben nicht nur Stereotypen abgebildet hat, formelhaft erstarrte Gestalten, sondern aus lebendigen Charakteren besteht.
Für Ersttäter empfiehlt es sich übrigens tatsächlich mit Band 1 zu beginnen und nicht mittendrin, finde ich. Auch wenn die Fälle abgeschlossen sind, baut das Zwischenmenschliche aufeinander auf, versteht man die Menschen besser mit ihrem Hintergrund. Wer also mit den Vargas-Krimis beginnen möchte, der greife zu "Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord".

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 14. November 2018 um 09:40

Ich habe ihn gestern Abend fertiggelesen - und fand ihn auch nicht soooo toll. Zudem hatte ich weit vor Adamsberg den Fall gelöst (immer noch hoffend, dass ich mich irrte), weil eigentlich niemand mehr übrig war, der es sonst sinnvollerweise hätte sein können. (Gelangweilt hab ich mich trotzdem keine Sekunde.)

Giselle74 kommentierte am 14. November 2018 um 11:52

Ging mir genauso. Schon seltsam, dass man einen Krimi mittelprächtig findet und sich trotzdem nicht langweilt....

wandagreen kommentierte am 14. November 2018 um 10:09

MIt drei Punkten versehen und dennoch eine Lobeshymne! Das schafft auch nicht jeder! "Unansprechbar für die Aussenwelt", das ist wie ein Orden. Und mehr als 500 Seiten an einem Tag ... da muss ich mal über den Lesenden nachsinnen ... möglicherweise wurde er von einer Spinne gebissen.

Giselle74 kommentierte am 14. November 2018 um 11:54

Immerhin habe ich mich nicht in eine Reklusin verwandelt, was ja auch nahe gelegen hätte....

Steve Kaminski kommentierte am 14. November 2018 um 23:56

Das war sicher die richtige Entscheidung, Dich nicht zu verwandeln! :-)

Giselle74 kommentierte am 15. November 2018 um 08:05

Ich wohne zwar gerne auf dem Lande, aber ganz so beengt muss es dann doch nicht sein... ;-)

Steve Kaminski kommentierte am 15. November 2018 um 09:05

Wenn, dann ohnehin nur, wenn sich die Zahnärztin des Vertrauens mit einmauern lässt!

Giselle74 kommentierte am 17. November 2018 um 15:43

Und der Rheumatologe... Gruselige Vorstellung!