Rezension

Aktuelle Gesellschaftskritik im Setting des Wilden Westens

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
von C. Pam Zhang

Bewertet mit 5 Sternen

Aktuell bewegende Themen wie Umweltzerstörung, Herkunft und Gender mitten im Wilden Westen in Szene gesetzt. Ungewöhnlich, mutig, extrem gut.

Lucy und Sam sind chinesische Waisen. Erst kürzlich ist ihr gewaltbereiter Vater verstorben. Ihn in Würde zu begraben, ist die erste Aufgabe, die die Geschwister mutterseelenallein meistern müssen. Mit nichts als den eigenen Kleidern am Leib ziehen sie durch den Wilden Westen, um ihn, seinen Leichnam, nach Hause zu bringen, damit seine Seele nicht auf ewig herumirren muss. Nach dem nomadenhaften Leben des Vaters in der Prärie, getrieben vom Goldrausch, erscheint die Aufgabe schier unlösbar.

Die Geschichte der beiden sehr unterschiedlichen Kinder ist eingebettet in den Wilden Westen ungefähr zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Es ist die Zeit des auslaufenden Goldrausches, die großen Geschäfte sind bereits gemacht, viele mühen sich ab, um noch ein Stückchen vom fast aufgegessenen Kuchen abzubekommen. Alternativ wird in Kohleminen geschuftet, um den kargen Lebensunterhalt für die Familie zur erwirtschaften. Migranten werden gezielt zur Ausbeutung ihrer Arbeitskraft angeworben, haben keinerlei Rechte. In dieser widrigen Welt lässt uns C Pam Zhang am Schicksal von Lucy und Sam sowohl geradeaus erzählt als auch in Rückblenden teilhaben. Für mich war es attraktiv zunächst die Situation der zwölf- und elfjährigen Kinder kennen zu lernen und erst später zu erfahren, wie es dazu kam. Dadurch erhalten alle Charaktere eine ordentliche Tiefe, die hier aus meiner Sicht entscheidend ist, da der Roman stark auf seine Protagonisten setzt.

Begleitet wird die Geschichte von ganz wunderbaren Beschreibungen der Landschaft, aber auch der Lebensumstände und der Gerüche. Ich konnte mir die schmutzige Hütte der Familie gut vorstellen, hatte gefühlt den Geschmack des minderwertigen Essens im Mund. Die Entwicklung des väterlichen Leichnams ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Auf der Reise nach Hause hatte ich den Eindruck mit den Beiden, quasi als ihr Schatten, ebenfalls durch die Hügel zu schreiten. Vor meinem inneren Auge habe ich das wogende Gras gesehen, die nackten Bisonknochen aus längst vergangener Zeit. Die Autorin hat meine Gefühlsebene ganz deutlich angesprochen. Vielleicht lag das auch an mach mystischer Formulierung, die das Geschehen sagenhaft, fast ein bisschen übernatürlich wirken lassen.

Am besten hat mir der Kunstgriff gefallen, aktuell bewegende Themen in ein Setting der Vergangenheit zu setzen. Dadurch habe ich noch einmal ganz bewusst wahrgenommen, wie alt diese Themen wie Umweltzerstörung, Herkunft und Gender tatsächlich sind. Nichts davon ist Modeerscheinung, etwas, das man einfach abtun oder ignorieren kann. Gleichzeitig entfällt durch das Setting ein Vorwurfscharakter, der sich leicht aufdrängt, wenn kritische Themen behandelt werden. So können sich Leser:innen unbefangen den Problemen annähern und damit auseinandersetzen. Obwohl Zeithorizont und Problemerkenntnis historisch betrachtet nicht zusammen passen, bleibt das von C Pam Zhang geschaffene Paralleluniversum in sich stimmig und wirkt dadurch stets glaubwürdig.

The Observer titelt „Das kühnste Debüt des Jahres“. Dem kann ich nur zustimmen. Gern empfehle ich diesen ganz wunderbaren Roman.