Rezension

Albert Camus erster Roman...

Der Fremde - Albert Camus

Der Fremde
von Albert Camus

Bewertet mit 4 Sternen

Die Geschehnisse des Romans werden geschildert aus der Sicht des Hauptcharakters Meursault, einem etwa dreißigjährigen französischen Büroangestellten in Algerien, der eher zurückgezogen lebt. Meursault erschießt an einem heißen Tag am Strand einen jungen Araber, landet vor Gericht und wird dort schließlich zum Tode verurteilt - weniger für die Tat an sich als eher für seine offensichtliche Gleichgültigkeit, die sich nicht nur auf den Tod des Arabers bezieht, sondern auf alle Ereignisse in Meursaults Leben.

Der Roman besteht aus zwei etwa gleich langen Teilen: Der erste schildert die Ereignisse vor der Tat - die Beerdigung von Meursaults Mutter, der Beginn einer Liaison mit einer ehemaligen Kollegin, die Begegnung mit einzelnen Nachbarn - und das Verbrechen selbst, der zweite den Gerichtsprozess und Meursaults Gefängnisaufenthalt mit dem bangen Warten auf seine Hinrichtung.

Nüchtern, distanziert, gleichgültig - so kann Meursaults Grundhaltung wohl am ehesten charakterisiert werden. Ob es sich um ein Mittagessen handelt, ein Gespräch mit dem Chef, der ihm eine berufliche Veränderung in Aussicht stellt, den Tod seiner Mutter oder aber den Schuss auf den Araber - alles erscheint gleichsam unbedeutend in den Augen des jungen Franzosen. Noch dazu ist Meursault gnadenlos ehrlich, beschönigt, verschweigt und leugnet nichts und heuchelt keine Reue, die er nicht empfindet.

Inhalt und Form erfahren durch die Art des Schreibens eine große Übereinstimmung. Meursault selbst spricht nicht viel - wenn es nichts zu sagen gibt, dann schweigt er. Genauso erzählt Camus auch die Geschichte: kein Wort erscheint hier zu viel, die Sätze meist kurz gehalten. Die Gleichgültigkeit als zentrales Motiv spiegelt sich ebenfalls in der Art der Erzählung wider - sehr neutral und distanziert wird hier berichtet, so dass der Leser kaum eine Möglichkeit erhält, sich dem Geschehen und dem Hauptcharakter wirklich zu nähern.

"Und doch war etwas anders geworden (...) Als könnten die in den Sommerhimmel gezeichneten vertrauten Wege genauso gut ins Gefängnis wie in unschuldigen Schlaf führen." (S. 127)

'Der Fremde' ist Albert Camus erster Roman, den er 1942 im besetzten Frankreich veröffentlichte, wo das Buch sogleich große Aufmerksamkeit erhielt. Es fiel wohl  passend in eine Zeit, in der  angesichts von Diktatur, Krieg und Zerstörung keine Antworten mehr auf Sinnfragen gefunden werden konnten. Tatsächlich gilt dieser Roman als eines der Hauptwerke des Existenzialismus. Das Absurde der menschichen Existenz soll hiermit demonstriert werden - Meursaults nahezu provozierende Gleichgültigkeit und seine Fremdheit in der Welt spiegeln diese Absurdität. Alles ist ohne Bedeutung, ein Einfluss auf das Geschehen kaum möglich, es bleibt nur, alles fatalistisch hinzunehmen - und das möglichst glücklich.

" Als hätte diese große Wut mich vom Bösen geläutert, von Hoffnung entleert, öffnete ich mich angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne zum ersten Mal der zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt." (S. 159)

Trostlos wirkte die Lektüre oftmals auf mich, nihilistisch und hinterfragend. Ich will nicht behaupten, die Idee des Existezialismus wirklich durchdrungen und verstanden zu haben, aber den Tod des Menschen als das einzig Sichere im Leben zu sehen und damit alle Leben gleichermaßen als bedeutungslos zu deklarieren, ist schon eine verstörende Sichtweise. Meursault jedenfalls begreift zuletzt, dass es daher keine Rolle spielt, ob er in jungen Jahren stirbt oder erst wenn er alt ist - und dadurch ist es ihm letztlich möglich, sein Schicksal ruhig anzunehmen.
Trotz seines geringen Umfangs ist dieser philosophisch durchdrungene Roman nicht einfach zu lesen - aber auf eine besondere Art doch beeindruckend.

© Parden