Rezension

Alicia verschwindet - und: Was man beim Suchen so alles finden kann

Alicia verschwindet - Matthias Sachau

Alicia verschwindet
von Matthias Sachau

Robert ist ein junger Mann aus der englischen Upper-Class, mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, der keine echte Aufgabe hat und sich dahintreiben lässt. Sein "bester Freund" (so nennt er es selbst) ist Alicia: Begabte Fotografin aus einfachen Verhältnissen, die er zufällig kennengelernt hat. Zusammen können sie unbeschwert das Leben genießen, sie befinden sich auf der gleichen Wellenlänge  und verstehen sich - beste Freunde eben. Robert steht kurz vor seiner Verlobung mit Rovena, als Alicia plötzlich verschwindet. Sie hinterlässt ihm als Hinweis ihr Lieblingsbuch "Wuthering Heights", doch mit dieser Andeutung kann Robert nichts anfangen. Er macht sich auf die Spurensuche quer durch England und findet drei Fotos mit rätselhafter Aufschrift...

Dieses road movie wird zu einer journey of initiation: Robert muss sich auf der Suche mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen, er muss sich seine Gefühle eingestehen und und wachsen. Ein recht spätes Erwachsenwerden für einen Mann von fast dreißig Jahren.

Erzählt wird dies alles gefiltert durch einen Psychiater. Im ersten Teil erzählt Robert ihm seine Geschichte - nicht als Patient, sondern er bittet seinen älteren Freund aufgrund dessen Namens um Hilfe. Und tatsächlich kann ihm der Doktor einen entscheidenden Hinweis geben. Im zweiten Teil trifft sich Alicia mit ihm; sie erzählt ihre Sicht und die Fortsetzung.

Meine Meinung zu diesem Buch ist zwiespältig. Die Hauptperson Robert war mir zwar sympathisch, doch hat er nicht viel Pep und konnte mich nicht mitreißen. Alicia erleben wir erst spät, und so konnte ich Roberts Faszination nicht nachvollziehen. Rovena ist mir zu einseitig geschildert. Die mir liebste Figur ist der Butler mit seinem understatement. Die Charakterschilderungen fand ich also teils ge-, teils misslungen. Die Handlung war zwar aus Sicht Roberts folgerichtig, doch ist mir nicht nachvollziehbar, wieso so lange niemand auf die Idee kommt, das Buch als Hinweis zu begreifen. Ich kenne es und habe darum die Suche als Irrweg empfunden. Es geht nicht zu wie bei einer Schnitzeljagd, bei der ein Hinweis zum nächsten führt, sondern der Weg wirkt zufällig. Daher kam für mich hier wenig Spannung auf; Leseinteresse entwickelte sich dann eher aus Roberts Begegnungen, die zu Anstößen zu seiner Weiterentwicklung werden. Literarische Anspielungen in einem Buch sprechen mich normalerweise an, doch Robert kennt "Sturmhöhe" nicht, und daher muss alles auseinandergesetzt werden. Für Leser, die das Buch gleichfalls nicht kennen, ist das sicher nützlich. 

Alles in allem fand ich das Buch recht unterhaltsam, aber nicht wirklich mitreißend. Zu blass die meisten Charaktere, zu wenig Spannung, einige Details zu konstruiert. Auf der anderen Seite: Eine nette Geschichte mit einigen überzeugenden Aspekten, ein unterhaltsamer Einblick in die englische Oberklasse, viel britischer Humor mit Selbstironie und understatement, und eine Sprache, der man Roberts Erziehung glaubt. Die sehr unterschiedlichen Kritiken wundern mich daher nicht: Je nachdem, worauf der Leser Wert legt, ist er begeistert oder gelangweilt.