Rezension

Alles andere als eine leichte Liebesgeschichte ...

Die Frau im Musée d'Orsay - David Foenkinos

Die Frau im Musée d'Orsay
von David Foenkinos

Bewertet mit 4 Sternen

Antoine Duris, Professor an der Hochschule der Schönen Künste in Lyon, will bei seiner Bewerbung einen guten Eindruck hinterlassen. Antoine bewirbt sich in Paris als Museumswärter – er will nur noch „von schönen Bildern umgeben sein“. Der Mann von rund 40 Jahren wirkt unkonzentriert, am Ende seiner Kräfte. Falls Antoine untertauchen, sich von Menschen zurückziehen wollte, ist das Musée d‘Orsay sicher der falsche Ort, in dem täglich Massen von Touristen an den Gemälden vorbeiziehen. Antoine und auch die Personalchefin Mathilde sollten eigentlich wissen, dass es nicht ohne Konflikte abgehen wird, wenn ein Modigliani-Spezialist bescheiden als Aufseher im Hintergrund bleiben muss. Antoine hat sich die Tätigkeit selbst als Wiedereingliederungsmaßnahme verordnet. Hat er gesundheitliche Probleme – vielleicht Depressionen? Warum will er unbedingt in der Masse verschwinden? Beruflich war der Mann erfolgreich und bei seinen Studenten angesehen.  Schneidet er sich durch sein Untertauchen in der Großstadt nicht sogar von Erlebnissen oder Kontakten ab, die  ihn stützen und ermutigen würden? Offenbar soll ich als Leser in Antoine Duris Verhalten etwas erkennen, was ihm selbst noch unbewusst sein könnte.

Das Museum in Paris bedeutete Camille viel, einer Studentin aus Antoines Hochschule, es stellt die Verbindung dar zwischen Hochschullehrer und Studentin. Eine Rückblende gibt Einblick in Antoines zerbrochene Ehe und zeigt weniger liebenswerte Seiten an ihm. Doch was Antoine schließlich an seinen Platz im Museum brachte, ist ein Erlebnis Camilles, das auf den ersten Blick nichts mit der Hochschule zu tun zu haben scheint. David Foenkinos beschreibt feinfühlig den Zusammenbruch eines Mannes u. a. durch ein unerhörtes Ereignis, auf das er persönlich keinen Einfluss hatte. Den Begriff Schicksal  dafür im Klappentext finde ich unpassend; denn Camille wird Opfer von Strukturen in der Kunst- und Kulturszene, die Gewalt gegen Frauen dulden und verharmlosen. Antoine als Professor ist eine der tragenden Säulen dieses Systems – das sollte ihm inzwischen klar geworden sein.

Foenkinos feinfühlige Schilderungen scheinen die Realität zunächst zu verbergen und zu beschönigen. Doch seine harmlos wirkenden Sätze zwingen geradezu, im Text genauer nach  Verschwiegenem, Verharmlostem zu suchen. Sein Roman ist alles andere als eine harmlose Liebesgeschichte. Am Ende habe ich mich gefragt, ob nicht Camille die eigentliche Hauptfigur des Romans ist. Sie  zwingt mich zur Auseinandersetzung mit  unerhörten Ereignissen - gerade in den Schönen Künsten.