Rezension

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Alles andere als Schwarz-Weiß

Wie du mir
von Ellen Dunne

Nordirland 1993: Bei einem Mordanschlag auf den Polizisten Will McCrea wird irrtümlich dessen Frau Jenny getötet, während der IRA-Aktivist Dallas Ferguson in einem Anflug von Reue sein eigentliches Ziel verschont. Das Ereignis wird zur Zäsur in der Biographie beider Männer. McCrea seinerseits setzt alles daran, den Mörder zur Strecke zu bringen. Mit der Hilfe des geheimnisvollen Agent Paul soll die verantwortliche terroristische Zelle unterwandert und zerschlagen werden. Ferguson hingegen beschließt, des Kämpfens müde, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch McCreas Rachedurst bringt einen Stein ins Rollen, der auf seinem Weg in den Abgrund immer mehr Opfer fordert und schließlich nicht mehr aufzuhalten ist.

In drei Abschnitten erzählt die gebürtige Salzburger Ellen Dunne das Leben der beiden zentralen Protagonisten in den Herbstmonaten des Jahres 1993. Anhand vieler kurzer Kapitel wird dabei ständig die Perspektive gewechselt und dadurch niemand bevorzugt, beide erzählerisch gleichwertig behandelt. Diese Sprünge zusammen mit einer bunten Ausstattung an Nebenfiguren fordern die volle Aufmerksamkeit des Lesers ein, ermöglichen es jedoch gleichzeitig, den Roman mit lebendigem Detailreichtum zu erfüllen. Besonderes Augenmerk legt die Autorin, die selbst viele Jahre in Irland verbracht hat, auf die Ausgestaltung des Lokalkolorits, die Erzeugung einer authentischen Atmosphäre. Dies gelingt zunächst durch den direkten Ansatz der Handlung in einem Fußballstadion, aber auch kleine Elemente wie das englische Maßsystem, Straßennamen, Graffiti an den Hauswänden und die Verwendung einer dem Milieu entsprechenden Sprache erfüllen ihren Zweck.

In ganz besonderer Weise sticht in Ellen Dunnes Roman der Entwurf der Figuren in ihrer lebensnahen Durschnittlichkeit hervor. Weder gibt es auf der einen Seite den mit allen Wassern gewaschenen Polizisten, noch auf der anderen den kugelsicheren Gangster. Ihre Aufgaben innerhalb der Erzählung beschränken sich nicht darauf, Verbrechen zu begehen beziehungsweise diese aufzuklären. Ein jeder von ihnen ist eingebettet in ein soziales Geflecht, fühlt sich für Familie oder Freunde verantwortlich. Ein jeder von ihnen wird geleitet von seinen ganz eigenen Anliegen und Motiven, die weder gut noch böse, sondern zutiefst menschlich sind. Dabei stehen einander Will McCrea und Dallas Ferguson in einer spiegelverkehrten Konstellation gegenüber: Wo der als Polizist an sich "Gute" von dunklem Rachedurst getrieben wird, ist der als Terrorist an sich "Böse" von seinem Bedürfnis nach Wiedergutmachung beseelt. So stehen die beiden, jeweils aufeinander angewiesen, als figuratives Doppelgestirn, als literarische Ausgestaltung des chinesischen Yin/Yang-Prinzips im Zentrum des Romans, flankiert von vielen Nebencharakteren, die ihre Entscheidungen und Taten zusätzlich beeinflussen.

In "Wie Du Mir" findet keine Schwarz-Weiß-Malerei statt, das Leben ist von verschiedenen Grauschattierungen geprägt. Anhand zahlreicher innerer Monologe werden die einzelnen Personen ausgestaltet, für die zu einem bestimmten Grad die Gewalt Teil ihres Alltags ist. Bereits die erste angebotene Identifikationsfigur entpuppt sich als IRA-Mitglied, stellt somit die in Belfast geltenden Begriffe von richtig und falsch infrage. Auf wessen Seite steht das Recht? Die Autorin vermeidet es bewußt, diese Frage eindeutig zu beantworten und überläßt es dem Leser, wem er Sympathie zu schenken bereit ist. Sie weidet sich nicht an der Darstellung der Grausamkeiten, sondern schildert in einem nüchternen beinahe zeitungsreportagenartigen Stil, wie die Spirale der Gewalt die Agierenden immer weiter in die Tiefe zieht. Ressentiments stauen sich auf, verbinden sich mit Mißverständnissen zu einem explosiven Gemisch. Gerade weil sich der Roman so nahe an der gesellschaftlichen Wirklichkeit bewegt, kann eine Lösung der vielen kleinen Konflikte nicht gelingen.

Gewalt kann keine Probleme bewältigen, sie kann nur wieder neue erschaffen. Diese Wahrheit quillt zwischen den Seiten dieses Buches hervor. Es heißt, das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit. In ihrem beeindruckenden Werk verleiht Ellen Dunne einem für uns abstrakten Konflikt viele menschliche Gesichter und zeigt, wie zutreffend dieses Zitat ist, wenn jeder auf seine Art sich im Recht wähnt.