Rezension

"Alles hängt mit allem zusammen"

Die Tote im Wannsee - Lutz W. Kellerhoff

Die Tote im Wannsee
von Lutz W. Kellerhoff

Bewertet mit 4.5 Sternen

Wer ist hier die „Hauptperson“? Kommissar Wolf Heller und sein Fall oder das Berlin der 68er?

Das Autoren-Trio führt seine Leser zurück in eine spannende Zeit, in der Berlin die wohl aufregendste Stadt der Republik gewesen ist. Ganz besonders interessant wird es für diejenigen sein, die sich zumindest teilweise noch aus eigenem Erleben an vieles erinnern können. Aus Politik und Gesellschaft, aber auch an viele Dinge des täglichen Lebens, die einst selbstverständlich waren, lang vergessen, doch mit einem „ach ja“ sofort wieder präsent.

Zeit- und Lokalkolorit spielen eine große Rolle. Die Studentenproteste gegen das Establishment, weil immer noch viele Altnazis an den Schaltstellen sitzen, werden zunehmend militanter. Hierzu gibt es einen Handlungsstrang, der zwar nicht mein „Lieblingsstrang“ gewesen ist, aber trotzdem hochinteressant und die differenzierte Beschreibung dieser Szene fand ich top. Herrlich, wie diejenigen, die um jeden Preis anders sein wollen, so manchen spießigen Zug offenbaren *g*.

Gerade in Polizei und Staatsschutz gibt es viele Leichen im Keller, neue und alte Seilschaften sorgen für Misstrauen. Nahezu perfekt fügt sich der Fall um die Tote vom Wannsee in diesen Hintergrund. „Wer ist der Mörder von Heidi Gent“? Sehr bald wird deutlich, dass es um mehr geht als „nur“ um den schrecklichen Mord an der jungen Frau. Und man fragt sich mit Wolf Heller, wer da alles aus welchen Gründen bemüht ist, die Ermittlungen zu torpedieren und in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wolf Heller ist ein netter Kerl und ein guter Polizist, mit exzellenter Beobachtungsgabe und scharfsinnig in seinen Rückschlüssen, was in diesem speziellen Fall nicht überall auf Begeisterung stößt. Er gerät zunehmend unter Druck und steht irgendwann vor der Frage, ob und wie er seinen Prinzipien treu bleiben kann.

Sympathisch fand ich ihn, den Kommissar Heller. Ein junger Polizist mit vielen Facetten, der seinen Platz im Leben noch nicht ganz gefunden hat. Die Unklarheiten um den Tod seiner Mutter belasten ihn, ebenso die angespannte Beziehung zu seinem Vater und er weiß nicht so recht, wie er das Verhältnis mit und zu Paula, seiner Vermieterin, und deren beiden Kindern gestalten soll. Er mag sie und fühlt sich wohl mit dem Familienanschluss, keine Frage, doch auch an dieser Front muss er sich irgendwann entscheiden. Diese Seite der Geschichte mochte ich sehr und Wolfs Gespräche mit den Kindern fand ich gleichermaßen herzerfrischend und berührend.

Generell waren die Dialoge für mich herausragend, flapsig-frech, humorvoll, bedrückend, je nach Situation, aber immer authentisch. Mein besonderes Highlight war der mit Rita Reneé, ich hab mich schlapp gelacht. (Zitieren bringt nicht viel, man muss es lesen).

Auch die Figuren haben mir großes Vergnügen bereitet, die Liebenswerten ebenso wie die Fieslinge, die Schrägen wie die Bodenständigen. Gefühlt ist hier alles vertreten, was das Berlin der 68er zu bieten hatte, eine bunte Vielfalt und wunderbar beschrieben.

Große Klasse der Erzählstil. Eloquent und spritzig, nicht alles platt und breit auserzählt, sondern auch mal hintersinnig mit Raum für eigene Gedanken. Gefühl und Humor wohldosiert, diese Mischung hat meinen Geschmack perfekt getroffen.
Und ich hab ein neues Wort gelernt *g*, "klandestin" hatte ich noch nie zuvor gelesen oder gehört, dank Google bin nun schlauer.