Rezension

Als Frauen noch nicht fliegen durften

Freiflug -

Freiflug
von Christine Drews

Bewertet mit 4 Sternen

Gesellschaftsstudie der 70er Jahre: Starre Rollenklischees und Sexismus allerorten aber Kämpferinnen für Frauenrechte auch! Lesenswert.

Mitte der 1970er Jahre in Deutschland: "Eine Frau gehört nun mal in den Haushalt und zu ihren Kindern. Sie ist nicht dafür geschaffen, ein Unternehmen zu leiten oder Bundeskanzler zu werden, das ist gegen ihre Natur. [...] Frauen stehen ja schließlich auch nicht auf dem Fußballplatz oder gehen zum Wehrdienst. Sie können dafür andere tolle Sachen. Wie zum Beispiel diesen Tafelspitz." [S. 35] In dieser frauenfeindlichen Atmosphäre versucht sich die Rechtsanwältin Katharina Berner selbständig zu machen, was fast daran scheitert, dass niemand einer Frau ein Büro vermieten will. Eine ihrer wenigen Mandantinnen ist die junge Rita Maiburg, die mit einer eigenfinanzierten Pilotenausbildung bei der Lufthansa als Pilotin arbeiten möchte. Ihre Bewerbung wird einzig mit der Begründung abgelehnt, dass sie eine Frau sei und deswegen grundsätzlich nicht berücksichtigt werde. Katharina und Rita ziehen gegen die Lufthansa und die Bundesrepublik vor Gericht. Aber dort sitzen "alte Herren", wie auch auf allen anderen wichtigen Posten. Das Rad der Geschichte dreht sich aber unaufhaltsam weiter ...

Der Klappentext konzentriert sich sehr auf die Klage gegen die Lufthansa, dies nimmt im Roman aber nur am Rande Raum ein. Sie bildet die Klammer für all die Ereignisse und Begebenheiten, die sich rund um die beiden Protagonistinnen abspielen. Die Handlung wird abwechselnd aus der Sicht beider Frauen geschildert. Da diese aus unterschiedlichen Milieus stammen, ergibt sich ein breites Spektrum von Themen. Die Hauptfiguren wirken sympathisch. Vor allem Rita ist dynamisch und kämpferisch, obwohl Katharina mehr Raum im Roman zugestanden wird und sie ja auch die Klage vorbereitet. Beide agieren fortschrittlich, jedoch wirkte Katharina immer etwas altbacken auf mich.

Über den Gerichtsfall an sich hätte ich gern mehr erfahren. Dagegen wird ausführlich über die grandiose Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern geschrieben. Daher handelt es sich eher um eine Art Gesellschaftsstudie, die aber hochinteressant ist. Von der Waschmittelwerbung über den § 218 bis zum Hosen-Skandal im Deutschen Bundestag reicht die Spannbreite der Themen. Über Ritas Clique wird auch das Thema Drogen verarbeitet, das in diesem Jahrzehnt im Zuge der sogenannten Hippiebewegung eine Rolle gespielt hat. Drews verwebt Fiktives mit realen Ereignissen und Personen, das ist gelungen.

Der Roman läßt sich sehr gut lesen, leicht aber nicht seicht. Etwas bemüht fand ich allerdings die vielen Andeutungen darauf, was voraussichtlich niemals passieren wird (z.B. die Strafbarkeit einer Ohrfeige). Beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass wirklich jedes Thema irgendwie noch in den Roman und die Handlung eingebaut werden sollte.

Insgesamt jedoch eine sehr gut und leicht zu lesende Gesellschaftsstudie verpackt in einen Unterhaltungsroman über ein Jahrzehnt, das noch gar nicht so lange zurückliegt und von dem uns doch (Gott sei Dank!) bereits Welten trennen. Die Klage gegen die Lufthansa ist leider nur der Aufhänger und nicht das Kernthema. Vier Sterne.